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Gewerkschaften sind wichtige Partner

  • Sabine Zimmermann
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Partei DIE LINKE hat mit der Debatte um ihr Grundsatzprogramm begonnen, das sie im Herbst 2011 beschließen will. Neues Deutschland begleitet die Debatte mit einer Artikelserie. In der heutigen Ausgabe drucken wir zwei Beiträge, die sich kritisch mit dem Text von Katja Kipping in ND vom 21. Juni auseinandersetzen: Sabine Zimmermann, Vorsitzende der DGB-Region Vogtland-Zwickau, ist arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Sie sieht die Gewerkschaften »nicht auf dem Sockel einer Avantgarde«, wohl aber als entscheidend für die Mobilisierung gegen die sozialen Kürzungsprogramme der schwarz-gelben Koalition.
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»Nicht auf der Höhe der Zeit« sieht Katja Kipping den Programmentwurf der LINKEN und kritisiert dabei, dass die strategische Orientierung des Programmentwurfs hinter die Diskussionen der gesellschaftlichen Linken über die Bedingungen für gemeinsames politisches Handeln zurückfalle. Im Kampf um gesellschaftliche Veränderung würden die gesellschaftlichen Realitäten nicht zur Kenntnis genommen, insbesondere würden die »DGB-Gewerkschaften … kritiklos zum privilegierten Bündnispartner einer linken Politik erhoben.« Eine derart harsche Kritik muss angesichts der tatsächlichen Inhalte des Programmentwurfs allerdings verwundern, da DIE LINKE nach dem Entwurf sehr wohl ein breites linkes Bündnis anstrebt, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern.

Zu einem solchen Bündnis gehören natürlich auch Gewerkschaften, ebenso wie viele andere. Gleich zu Beginn in der Präambel ist zu lesen: »Gemeinsam mit gewerkschaftlichen Kräften, sozialen Bewegungen, mit anderen linken Parteien, mit Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland, Europa und weltweit sind wir auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative.« In dem darauffolgenden Kapitel »Woher wir kommen, wer wir sind« werden gleichwertig benannt: Gewerkschaften, Frauenbewegung, Umweltbewegung, Friedensbewegung, an späteren Stellen weitere Akteure. Zum Ende des Programmentwurfes heißt es noch einmal: »Wir wollen ein Bündnis von Gewerkschaften, globalisierungskritischen und gesellschaftskritischen Initiativen, sozialen Bewegungen, progressiven Menschen aus Wissenschaft und Kultur und der parteipolitischen Linken entwickeln.« Die Vielfalt der Bewegungen wird also im Programmentwurf durchaus abgebildet.

Nur an einer einzigen Stelle benennt der Entwurf explizit die gesellschaftliche Bedeutung der Gewerkschaften: »Besonders wichtig sind [dabei] starke, aktive, kämpferische und politisch eigenständig handelnde Gewerkschaften. Sie unterscheiden sich von allen anderen sozialen Kräften und Bewegungen dadurch, dass sie nicht nur in der Zivilgesellschaft agieren, sondern ihre Verankerung in der Arbeitswelt haben. Dies verleiht den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten eine gesellschaftliche Machtposition, die andere soziale Gruppen nicht haben und die von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung sozialer und sozialistischer Umgestaltungen ist.« Themen wie Mindestlöhne, Gute Arbeit, Gegen die Rente ab 67 weisen nicht nur politische Schnittmengen auf, sondern berühren den Markenkern der LINKEN, dem sie einen wichtigen, wenn auch nicht alleinigen, Teil ihres Erfolges verdankt. Das macht die Gewerkschaften zu einem wichtigen Partner, hebt sie aber noch lange nicht, wie von Katja Kipping behauptet, auf den Sockel einer Avantgarde.

Genauso wenig lässt sich eine solche Aussage auf eine »positive Bezugnahme auf die real existierende DGB-Politik« reduzieren. Im Gegenteil wird hier ein linker Anspruch an die Gewerkschaften formuliert, für den viele Gewerkschaftsmitglieder unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit streiten. Gewerkschaften darauf zu reduzieren, dass sich in ihnen »auch Ständedünkel und Standortchauvinismus breitmachen«, übersieht die Pluralität und Heterogenität der Gewerkschaftsbewegung. DIE LINKE ist besser beraten, sich in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen konstruktiv-kritisch und solidarisch einzubringen, statt von Außen den Oberlehrer zu geben.

Mitglieder der LINKEN sind zudem auch Mitglieder von sozialen Bewegungen. Ob Mitglied der Friedensbewegung, der Anti-AKW-Bewegung, der Frauenbewegung oder eben der Gewerkschaften, das Ziel kann nicht in einer systemischen Abgrenzung der LINKEN zu anderen Organisationen und Bewegungen liegen, sondern der Anspruch muss vielmehr sein, die Chance des sich Miteinbringens zu nutzen, so auch in die real existierende Gewerkschaftspolitik.

Was aber keinesfalls ignoriert werden darf, Gewerkschaften haben aufgrund ihrer Verankerung in der Arbeitswelt das Potential für eine besondere gesellschaftliche Gegenmacht, können mit kollektiven Aktionen besonderen ökonomischen und politischen Druck ausüben. Diese Erkenntnis gehört nicht nur zur Tradition der sozialistischen Bewegung, sondern wird auch durch jüngste Erfahrungen belegt. Die gewerkschaftliche Mobilisierung 1996 gegen das Sparpaket der Regierung Kohl und die Streiks gegen die beabsichtigte Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall waren der Anfang vom Ende der letzten schwarz-gelben Regierung unter Kanzler Kohl. Dass die Gewerkschaften es nicht vermocht haben, sich mit allen Gliederungen und in Gänze vehement gegen die Einführung der Agenda 2010 zu stemmen, war wiederum eine Ursache dafür, dass 2004 die Montagsdemos gegen Hartz IV trotz einer ungeheuren Dynamik letztlich nicht erfolgreich waren. Die Frage, inwiefern es gelingt, eine breite gewerkschaftliche Mobilisierung gegen das derzeit geplante Kürzungsprogramm zu erreichen, wird entscheidend sein für den Erfolg der aktuellen Proteste.

Natürlich gehört zur gewerkschaftlichen Realität auch, dass es Kräfte gibt, die veränderte Rahmenbedingungen mit Zeitverzug reflektieren und sich neuen sozialen Fragen nur bedingt öffnen. Den Gewerkschaften sollte man aber zugestehen, dass es sich auch bei ihnen um lernende Organisationen handelt, die sich insbesondere in den letzten Jahren in einem Erneuerungsprozess befinden, der auch neue Konzepte aufgreift, etwa das Organizing oder eine stärkere Mitgliederorientierung und -einbeziehung. Kampagnen wie die gegen die Leiharbeit beim Discounter Schlecker, die eine Entrechtung von tausenden Verkäuferinnen erfolgreich verhinderte und auf die Selbstorganisation der Beschäftigten setzte, sind ein Beispiel für ein gewandeltes Selbstverständnis. Und es gibt eben auch Debatten um eine notwendige Öffnung der Gewerkschaften als Teil einer breiten Mosaik-Linken. Es ist richtig, sich im Programmentwurf auf diese progressiven Kräfte zu beziehen. Eine Diskussion der Stärken und Schwächen der gewerkschaftlichen Bewegung ist im Programm jedoch ebenso wenig zu leisten, wie bei anderen im Programm genannten sozialen Bewegungen.

Der Erfolg der LINKEN besteht gerade darin, dass es ihr gelungen ist, mit der sozialen Frage zentrale Anliegen der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften aufzugreifen. Dieses Zugehen auf Gewerkschaften gehört zur Identität der LINKEN und sollte unserem Engagement in der Friedens-, Umwelt- oder Frauenbewegung nicht gegenübergestellt werden. Das wäre ebenso falsch wie töricht. Letztlich sind Gewerkschaften und viele ihrer Mitglieder oftmals wichtige Mitstreiterinnen und Mitstreiter dieser Bewegungen.

Ob DIE LINKE ihre Ziele erfolgreich umsetzen kann, wird stark davon abhängen, ob es gelingt, relevante Teile der Gewerkschaftsbewegung zusammen mit vielen anderen Akteuren für gemeinsame Aktivitäten zu gewinnen. Zu Recht gibt es deshalb eine besondere strategische Ausrichtung auf die Gewerkschaftsbewegung. Die Debatte darüber sollte intensiv geführt werden.

Bei all dem sollten wir aber nicht die praktische Politik vergessen. Wie schrieb Marx in der Kritik des Gothaer Programms: »Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.«

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