Volkes Wille trifft Grüne hart

Ausgerechnet sie setzten die Verbindlichkeit von Volksentscheiden durch

  • Folke Havekost
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Volksentscheid gegen die Schulreform in Hamburg war erfolgreich. Dies den Grünen als Erfolg schmackhaft zu machen, ließ sich am Sonntag allerdings beim besten Willen nicht bewerkstelligen. Obwohl sie indirekt Urheber dieses Erfolgs sind.

Die Grünen hatten in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU 2008 die Verbindlichkeit von Volksentscheiden durchgesetzt – und sahen bei der Premiere nun ohnmächtig zu, wie die Schulreform und damit eines ihrer Herzensanliegen durch eine konservative Bürgerinitiative abgeschmettert wurde: Mit beinahe 60 000 Stimmen Vorsprung setzten sich die Gegner der von Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) angeschobenen Reform überraschend deutlich durch. Die Grünen-Politikern bewertete den Sonntag dann auch freimütig als »Scheißtag«.

Es war nur noch ein kleiner Schritt für die Reformgegner: Durch die vorab eingegangenen Briefwahlkuverts lag die Initiative »Wir wollen lernen!« (WWL) um den Rechtsanwalt Walter Scheuerl bereits vor der Öffnung der Abstimmungsstellen am Sonntag bei 242 062 Stimmen – nicht einmal mehr 5300 Stimmen unter dem erforderlichen Quorum von 20 Prozent aller Wahlberechtigten.

In den Stadtteilen Nienstedten, Groß Flottbek, Othmarschen, Volksdorf und Blankenese, deren Bürger über ein jährliches Durchschnittseinkommen von über 50 000 Euro verfügen (Hamburgs Schnitt: 32 505 Euro), lag die Beteiligung zwischen 58 und 61 Prozent. Dort kam es zu satten Mehrheiten gegen die Reform. In Hamburgs reichstem Stadtteil Nienstedten gaben auch am Sonntag noch einmal 72,6 Prozent ihre Stimme für die Scheuerl-Initiative ab, die am achtjährigen Gymnasium festhält und die Verlängerung des gemeinsamen Grundschullernens von vier auf sechs Jahre ablehnt.

Die fünf wahlmüdesten Bezirke hingegen, in denen nicht einmal jeder Vierte seine Stimme abgab, gelten allesamt als soziale Problemgebiete mit einem Arbeitslosenanteil von über zehn Prozent (Hamburg-Schnitt: 6,6 Prozent). Hier wurde noch am ehesten für die Reform gestimmt – wenn denn überhaupt abgestimmt wurde. Den einsamen Minusrekord stellte Billbrook auf, der einzige Stadtteil, in dem es mehr staatliche Leistungsempfänger als Beschäftigte gibt. Dort gaben nur 12,5 Prozent ihre Stimme per Post ab.

Dass die Schulreform gerade die Situation von Kindern aus sozial schwächeren Familien verbessern sollte, wurde in diesen Vierteln offenbar kaum geglaubt. Stefanie von Berg vom Reformbündnis »Schulverbesserer« wertete das Ergebnis als bitter: »Die Hamburger haben klar gegen soziale Integration gestimmt.« Auch die LINKE-Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn zeigte sich »sehr enttäuscht«.

Insgesamt beteiligten sich 39,3 Prozent der Hamburger an der Abstimmung. Der WWL-Entwurf erhielt 276 304 Stimmen, der von allen Bürgerschaftsparteien unterstützte Reformvorschlag nur 218 065. Kuriosität am Rande: Im Bezirk Altona fanden beide einzeln abgestimmte Vorlagen mit knapp über 51 Prozent Ja-Voten Zustimmung – es war die einzige der sieben Hamburger Verwaltungseinheiten, die sich nicht komplett gegen die Schulreform aussprach.

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