Polen – der grüne Fleck im roten Meer
Debatten über ein geteiltes Land
Die »Zweiteilung« Polens wird vorwiegend auf die ewigen Differenzen zwischen der regierenden Bürgerplattform (PO) und der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bezogen. Bekannt ist auch der Hinweis auf die »Ostwand« und die »Westwand«. Zur ersten werden die Gebiete gerechnet, die während der 123-jährigen Teilung Polens unter der Oberhoheit Österreichs und Russlands standen, zur zweiten zählt man den damaligen preußischen Besitzstand und die ehemaligen deutschen Ostgebiete.
Was Struktur und Entwicklungsstand betrifft, ist diese Unterscheidung durchaus zutreffend. Was im Disput über das geteilte Polen im bürgerlichen Lager nicht hervorgehoben, ja geradezu missachtet wird, ist die wirtschaftlich-soziale Diskrepanz zwischen den Nutznießern der kapitalistischen Transformation und den »Zurückgebliebenen«.
Dazu einige markante Beispiele: Die Zahl der Millionäre, klagte die »Gazeta Wyborcza« jüngst, sei im Ergebnis der Krise 2010 im Vergleich zum Vorjahr von 13 500 auf 10 700 geschrumpft. Offiziell heißt es, der Durchschnittslohn betrage etwa 3400 Zloty brutto (etwa 820 Euro), aber 70 Prozent der Arbeitnehmer (bei etwa 12-prozentiger Arbeitslosigkeit) erreichen diese Summe nicht. Die »Durchschnittsrente« liegt bei 1400 Zloty, die niedrigste bei 700 Zloty und ist fast dem Arbeitslosengeld gleich.
Premier Donald Tusk hat aufgehört, sich bei Pressekonferenzen vor einer Europakarte aufzustellen, auf der Polen als grün gefärbter Fleck inmitten der in Rot getauchten übrigen EU-Staaten angezeigt wird. Dazu gab er gerne den stolzen Hinweis, dass Polen das einzige Land mit realem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2009 war. Und die in Warschau akkreditierten deutschen Journalisten plapperten es nach.
Tusk hat inzwischen guten Grund, sich mit solcher Prahlerei zurückzuhalten. Wollte er die Versprechungen erfüllen, die der zum Staatspräsidenten gewählte Bronislaw Komorowski in seiner Wahlkampagne gemacht hat, wären 33 Milliarden Zloty an weiteren Schulden fällig. Dabei grenzt die Verschuldungslage der öffentlichen Finanzen bereits an 665 Milliarden., was die Hälfte des BIP ausmacht. 35 Milliarden müssen allein zur Bedienung des Schuldenberges ausgegeben werden. Janusz Jablonski von der Nationalbank sprach neulich von zusätzlichen 180 Milliarden im Gesundheitsdienst »verkappten« Schulden. Die Tusk-Regierung will sich mit einem »Entwicklungs- und Konsolidierungsplan« retten. Darin stehen unter anderem eine 7,5- prozentige Anhebung von Rentenbeiträgen, die Streichung des Inflationsausgleichs für Rentner und eine strengere Kontrolle der Steuererhebung. Der ehemalige Finanzminister und Nationalbankpräsident Leszek Balcerowicz ruft indes nach mehr Privatisierung und der Arbeitgeberverband »Lewatian« nach einer Reform des Arbeitsrechts.
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