Störtebeker aus Kyritz
Peter Schroth über die 1. Schöller-Festspiele in Brandenburg
ND: Hans Magnus Enzensberger sagt in einem Essay, Sparzwänge der Kultur seien entsetzlich, aber dass inzwischen jedes Provinzstädtchen sein eigenes Festival betreibe, sei nicht minder entsetzlich. Ihre Inszenierung, Peter Schroth, eröffnet die 1. Schöller-Festspiele von Kyritz, Neustadt und Wusterhausen.
Enzensberger-Essays leben von der Polemik, die setzt Selbstbewusstsein voraus – das man auch mit Arroganz verwechseln darf.
Das tun Sie hiermit?
Ja. Wenn man hier in dieser sogenannten Kleeblattregion steht und sich auf die andere Seite der Autobahn denkt, dann weiß man dort Rheinsberg, Netzeband, die Seebühne Wustrau. Attraktive Kulturorte seit Jahren – und gut besucht. Um Kyritz herum gibt es dergleichen nicht. Im ehemaligen Kreiskulturhaus, noch aus DDR-Zeiten, sollte ein feines Operettenfestival etabliert werden – es gelang nicht. Aber der Gedanke, in der Region einen kulturellen Reiz zu schaffen, der ist geblieben.
Es geht, wie immer, nicht nur um Kultur.
Es geht einzig und allein um Kultur! Kunst, Tourismus, Gastronomie – das sind doch, wenn man so will, Schwesternkünste einer kulturvollen, heiteren Lebensart. Es gibt eine Studie, die sagt klar voraus: Entweder findet hier Versteppung statt oder man müht sich um spezielle Findungen für einen anziehenden Kulturtourismus.
Aber nichts überstülpen!
Genau! Deshalb der Komödienklassiker »Pension Schöller«.
Denn Hauptheld Klapproth kommt aus – Kyritz.
Klapproth ist Brandenburg! Unverwüstlich und schlagfertig, ein Mutterwitzler erster Güte. Wie sagen wir hier? Klapproth ist der Störtebeker der Ostprignitz.
Es kommt auf den natürlichen Boden an, auf dem so ein Festival wachsen muss?
Lustspiele machen Kultur auf dem flachen Land nicht automatisch flach. Wie ja ein Vorwurf, nur weil er von Enzensberger kommt, nicht a priori weise sein muss.
Würden Sie den Festspielen bei entsprechendem Erfolg treu bleiben, als Regisseur?
Klar. Der besagte Erfolg ist freilich nichts, was von außen kommt, er ist quasi unsere Arbeit, unser Auftrag. Gern würden wir neben der gesetzten »Pension Schöller« – deren Spielorte jährlich zwischen Kampehl, Kyritz und Wusterhausen wechseln – auch andere Komödien spielen. Mit Partnern wie der Neuen Bühne Senftenberg und dem Staatstheater Cottbus sind gute Voraussetzungen gegeben. Kein gewöhnlicher, selbstverständlicher Satz in diesen Zeiten: Es entsteht eine Gemeinschaft.
Mit welcher Gemütsverfassung üben Sie, nach Jahrzehnten Erfahrung und Erlebnissen, derzeit ihren Beruf als Regisseur aus?
So, dass ich noch nicht von Resignation sprechen muss.
Klingt aber nahe dran.
Ich möchte nicht Mitglied in dieser Massenorganisation der Regisseure sein, die Blut und Sperma ausschütten, als wär's ein Hauptgewinn, den man da ausschüttet. Ich habe mich in letzter Zeit viel mit guten Komödien beschäftigt, auch mit sozialen Komödien, in dieser Beschäftigung mit dem Handfesten wuchs wieder das Vertrauen in Theater, das darauf verzichtet, verblasen, pseudoprovokant und scheinrebellisch zu sein.
Theater ist bürgerliche Unterhaltung.
Das ist Gebot wie Grenze. Es ist auch verbürgerlichte Unterhaltung, es schließt Menschen aus ...
Die Sie erreichen möchten.
Ja, Leute, die sagen: Theater, o Gott, was muss ich denn da anziehen? Ich antworte: Nichts Extravagantes – einfach nur herkommen, Freude haben wollen. Das Festival als Kommunikationstest.
Welche Lebens-Bilanz zieht der Theatermann Peter Schroth?
Wir Schroths waren und bleiben Theatermenschen. Mein Urgroßvater zog mit einer Truppe durchs Land, meine Urgroßmutter saß an der Kasse. Mein Großvater war angesehener Schauspieler in Dresden, mein Bruder Christoph hat ebenfalls ein spannendes, renommiertes Theaterleben gelebt. Auch meine Mutter spielte in Dresden. Sie kam aus dem Bürgertum und ist in diesem Versuch, im Sozialismus progressives, aufklärungsverpflichtetes Theater zu machen, gern und ganz aufgegangen. Mit der sogenannten Wende kam Freiheit wie auch Erschrecken: Applaus schön und gut, aber warum das ganze Theater? Für wen konkret? Statt Publikum unzählige Vereinzelte. Spiel verpufft oft.
Diktaturverklärung?
Überhaupt nicht! Trauer trotzdem: dass das Ergründen der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr aufreibend ist. Es ist so viel egal. Es geht meistens um die Probleme des Einzelnen mit der Welt, wenig um eine von Sinnstiftung beseelte Gesellschaft, die Probleme mit Individuen hat – weil diese die Freiheit nur für sich auskosten, sie jedoch nicht auch für andere herstellen wollen.
In »Pension Schöller« gibt es den unglücklichen Schauspieler, der kein »l« aussprechen kann ...
Ja, wünschen wir unserem Festivan, dass es ihm nicht so ergeht wie jenem Schauspiener – dem eine Fniege in den Hans fnog, an der er sich verschnuckte.
Vienen Dank für die Ernäuterungen. Ihnen annen vien Erfong!
Interview: Hans-Dieter Schütt
Peter Schroth - Er war Schauspieldirektor an großen Theatern, Direktor des Berliner Instituts für Schauspielregie. Als Schauspieler, nach Studium an der Theaterhochschule »Hans Otto« Leipzig, blieb er ein wacher Wanderer. Ein Maßstabsucher. Bei Fritz Bennwitz in Weimar, bei Hans Dieter Mäde in Karl-Marx-Stadt, vor allem bei Horst Schönemann in Halle. Sein Spiel hatte derbe Kraft und listigen Geist, es besaß kühle Schärfe und frechen Charme. So habe ich ihn in Erinnerung, etwa als Mephisto neben dem Faust Kurt Böwes. Der ein Prignitzer war, der in Kyritz in die Oberschule ging – und dessen Biografie und Reflexionen eines Tages vielleicht auch Stoff für erweiterte Schöller-Festspiele sein könnten ... hds
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