Retten durch Reisen
Bonner Bundeskunsthalle zeigt 230 Schätze aus dem Nationalmuseum in Kabul
Es war ein Tag im Juli 1966. Einfache Bauern stießen im Nordosten von Afghanistan rein zufällig auf jene wunderbaren Gold- und Silbergefäße. Fast 4000 Jahre alte Becher und Schalen, in verschiedenen Techniken reich dekoriert. Sofort machten sich die stolzen Finder mit dem Beil ans Werk, die Beute zu zerhacken, um alles gerecht untereinander aufteilen zu können. Als die örtlichen Behörden eingriffen, waren nur noch zwölf Stücke heil. Ein herber, aber geringer Verlust. Zumindest, wenn man ihn mit den verheerenden Zerstörungen vergleicht, die dem afghanischen Kulturerbe in den folgenden Jahrzehnten zusetzen sollten.
Zuerst die Invasion der Sowjets. Dann der Bürgerkrieg diverser Mudschaheddin-Gruppen, die plündernd über Museen herfielen. Und schließlich der Bildersturm des Taliban-Regimes: Wer erinnert sich nicht an das bizarre Schauspiels im März 2001, als die beiden riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan in die Luft flogen.
Die Keller im Museum: voller Trümmer
Und das war nur der spektakuläre Höhepunkt der Bilderbeseitigungs-Aktion. Auch öffentliche Sammlungen hatten schwer zu leiden, allein im Nationalmuseum von Kabul gingen über 2000 Statuen zu Bruch. Der Keller dort liege noch immer voller Trümmer, weiß Susanne Annen. Als Projektleiterin betreute sie die beeindruckend bestückte und didaktisch perfekt gemachte Afghanistan-Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle.
Um die 230 »gerettete Schätze« aus dem Kabuler Museum kommen da zusammen – aus 2000 Jahren und aus vier verschiedenen Grabungsorten im Nordosten des heutigen Afghanistan. Sie erzählen von einem offenen eurasischen Raum, wo Einflüsse aller möglichen großen Kulturen wirksam waren.
Drei der bronzezeitlichen Becher und Schalen aus Tepe Fullol, die den Attacken der Bauern-Beile entgangen sind, stehen erhaben am Anfang der Ausstellung. Es folgen Skulpturen, Architekturfragmente, sagenhafte Goldarbeiten, Gläser, feine Elfenbeinschnitzereien. Darunter viele Hauptstücke des Nationalmuseums in Kabul, die man jahrelang zerstört oder verschollen wähnte.
Wahrscheinlich wusste nur eine Hand voll verschwiegener Kulturschützer, dass die Schätze seit den späten Achtzigern, sicher im Tresor der Zentralbank, auf ungefährlichere Zeiten warteten. 2004 war es so weit. Das gut gehütete Geheimnis wurde gelüftet, und die glücklich geretteten Reste gingen bald auf Welttournee: Paris, Turin, Amsterdam, USA und Kanada. Rund eine Million Menschen haben die Kostbarkeiten aus Kabul bisher bewundert.
Jetzt ist Bonn dran. Nach Grabungsstätten sortiert werden die Exponate in vier stimmungsvollen Schatzkammern präsentiert. Da kann man echte Entdeckungen machen: zum Beispiel in Ai Khanum und der zugehörigen Ausstellungsabteilung, wo der Hellenismus groß herauskommt. Nach dem Feldzug Alexanders des Großen im 4. Jahrhundert gegründet, kann die Stadt wohl als östlichster Punkt der griechischen Welt gelten. Korinthische Kapitelle aus Ai Khanum sprechen in Bonn für sich.
Doch mischen sich auch fremde Ideen ein. Ein originelles Gemisch aus beidem bietet die kreisrunde Kybele-Scheibe aus dem dritten Jahrhundert vor Christus. Die Göttin der wilden Natur steht da auf einem von Löwen gezogenen Wagen – ein Motiv, das aus dem griechischen Mittelmeerraum bekannt ist. Damit hat jener barfüßige Priester hinter dem Wagen, der Kybele als Sonnenschirmträger begleitet, allerdings wenig zu tun – seine Vorbilder finden sich im Orient.
Noch unübersichtlicher wird das multikulturelle Gemisch in Tillya Tepe, dem »Goldhügel«, wo Ende der Siebziger die letzte große Entdeckung vor dem Einmarsch der Sowjets und den folgenden Jahren des Chaos gelang. Die Schau zeigt Beigaben aus sechs um Christi Geburt ausgehobenen Gräbern: griechisch-römische, indische und chinesische Artefakte.
Die Verstorbenen, ein Mann und rings um ihn fünf Frauen, wurden mit Schmuck von unglaublicher Pracht begraben. Es waren reiche Nomadenfamilien, die sich solchen Luxus leisteten. In der Bundeskunsthalle glänzt etwa eine im ersten Jahrhundert nach Christus gearbeitete Blumen-Krone nach koreanischer Art. Und ein stehendes Mufflon, das offenbar der Hut- oder Helmzier diente.
Zwar weiß man nicht, woher genau die Herrscher von Tillya Tepe kamen. Doch machen die goldenen Funde mit ihren unterschiedlichen Stilmerkmalen klar, welche Rolle Afghanistan als wichtige Etappe auf der Steppenstraße spielte, die den eurasischen Raum zwischen Schwarzem Meer, Krim und koreanischer Halbinsel durchzog.
Aphrodite muss wohl ins Dunkle zurück
Hier kommt alles zusammen. Ein merkwürdiges Gemisch unterschiedlichster Einflüsse zeigt nicht zuletzt die goldene »Aphrodite von Baktrien«. Eine geflügelte Frauenfigur in Frontalansicht. Sie hat die rechte Hand auf die ausgestellte Hüfte gestützt. Mit der Linken hält sie nachlässig ihr knapp über die Scham gehaltenes Gewand. In der verführerischen Gestalt haben hellenistische Vorbilder das Sagen. Nur, dass hier das Schönheitsideal ein ganz anderes ist. Aphrodites rundes Gesicht, ihre Mandelaugen, die füllige Figur – so etwas hätte es in Griechenland nicht gegeben. Erst recht nicht den indischen Punkt auf ihrer Stirn.
Mit Blick auf all die schönen Stücke drängt sich natürlich die Frage auf, was damit passiert, wenn die Tour durch internationale Ausstellungshäuser am Ende ist. Das Nationalmuseum sei dermaßen beschädigt, so Annen, dass man sie dort definitiv nicht zeigen könne. Und so werden sie wohl vorerst wieder im Tresor verschwinden. Bis die Afghanen ihren Traum verwirklichen können von einem neuen Museum für ihre Hauptstadt.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis 3. Oktober. Di u. Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr. www.bundeskunsthalle.de
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