Hier hat die Zukunft Tradition
Young Euro Classic bringt zum elften Mal Jugendorchester aus aller Welt nach Berlin
Dass das kulturelle Sommerloch in Berlin immer mehr schrumpft, verdankt sich unter anderem Young Euro Classic. Seit zehn Jahren mietet sich das Festival im August im Konzerthaus am Gendarmenmarkt ein; die Bühne gehört dann Jugendorchestern aus aller Welt. In diesem Jahr hat Young Euro Classic sogar ein eigenes Ensemble gegründet, das Festivalorchester Südosteuropa. Dessen Mitglieder stammen aus den ex-jugoslawischen Staaten – einer Region also, in der ein kulturelles Miteinander alles andere als selbstverständlich ist.
Seit dem ersten Festivaldurchgang ist hingegen das Schleswig Holstein Festival Orchestra regelmäßig hier zu Gast. Es besteht aus rund hundert Musikern, die alljährlich in internationalen Probespielen ausgewählt werden und sich im Sommer zu einer zweimonatigen Akademie auf Schloss Salzau bei Kiel treffen.
Das international bekannte Ensemble, das vor 23 Jahren auf Anregung von Leonard Bernstein gegründet wurde, gastierte am Sonntag in Berlin. Der Auftritt könnte allerdings einer der letzten gewesen sein, plant doch die Landesregierung von Schleswig-Holstein, die Akademie zu schließen und Schloss Salzau zu verkaufen. Die jungen Musiker starten daher bei jedem Auftritt Protestaktionen und sammeln Unterschriften. Dass die Schließung des Orchesters ein großer Verlust wäre, machten sie im Konzerthaus auch musikalisch nachdrücklich klar: Ausgewogen ist hier die Balance zwischen den Instrumentengruppen; die Bläser spielen ebenso geschmeidig wie präzise. Und so ein lebendiges, intensives piano kriegt nicht jedes Orchester hin.
Auf dem Programm standen Béla Bartóks »Konzert für Orchester« und Beethovens Fünfte. Chefdirigent Iván Fischer hat die Musiker fest im Griff. Mit Minimalgestik und intensivem Blickkontakt bringt er das Ensemble nahezu auf Profi-Niveau. Für einzelne Sätze überließ er das Pult vier Nachwuchsdirigenten, mit denen er auf Salzau gerade einen Meisterkurs durchführt. Der 34-jährige Slowake Marián Lejava zeigte die größte Ausstrahlung und Souveränität; er modellierte einen besonders plastischen Klang.
Zum ersten Mal trat am Dienstag das Baltic Youth Philharmonic bei Young Euro Classic auf; es vereint Musikstudenten aus den verschiedenen Ostsee-Anrainerstaaten. Das Ensemble ist eine Initiative des Usedomer Musikfestivals, das am 25. September mit einem Konzert dieses Orchesters eröffnet wird.
Auf dem Berliner Programm stand eine Uraufführung: »parkour musical« von dem Schweizer Komponisten Daniel Schnyder, der hier Jazzelemente und lateinamerikanische Rhythmen in die Klangsprache des Sinfonieorchesters einschleust. Das klingt zwar schmissig und effektvoll, das Konzept ist aber eigentlich recht konventionell. Darius Milhaud hat Ähnliches schon in den 1920ern fertig gebracht.
Kristjan Järvi, der charismatische Chefdirigent des Baltic Youth Philharmonic, ist ein Meister darin, das Orchester zu außerordentlicher rhythmischer Ekstase hochzupeitschen. Im Kopfsatz der Rock Symphony des lettischen Komponisten Imants Kalninš gerät er geradezu ins Tanzen. Sinfonischer Rock aus der Sowjetunion von 1972 – das ist vor allem eine musikhistorische Kuriosität, ziehen sich doch die treibenden Beats von Schlagzeug und gezupften Bässen ziemlich in die Länge.
Schließlich manövriert Järvi mit klaren, markanten Gesten die Musiker sicher durch die vertrackten Rhythmen von Strawinskis »Sacre du Printemps«. Erneut zeigte das Baltic Youth Philharmonic bewundernswerte Energie, rhythmische Präzision und ein ausgewogenes Zusammenspiel. Hier und da fehlte jedoch ein wirklich leises piano.
Young Euro Classic setzt in diesem Jahr einen weiteren regionalen Schwerpunkt mit Ensembles aus dem Kaukasus. Heute und morgen treten die Jugendorchester aus Georgien und Aserbaidschan auf; am Samstag spielt das armenische Youth State Orchestra. Eine weitere Festival-Novität, ein Stummfilmkonzert, geht am 20. August über die Bühne. Dann wird Manfred Noas »Nathan der Weise« von 1922 mit einer neuen Filmmusik des libanesischen Komponisten Rabih Abou-Khalil aufgeführt.
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