Schulreform auf saarländisch
Die Jamaika-Koalition will alle Beteiligten »mitnehmen«, sagt der grüne Bildungsminister
Saarbrücken. Die große Debatte um die schwarz-gelb-grüne Schulreform im Saarland steht noch an. Kurz nach Beginn der Sommerferien hatte Bildungsminister Klaus Kessler (Grüne) – unterstützt von Koalitionschef Peter Müller (CDU) – erst einmal nur die Eckpunkte dafür vorgelegt.
Auch an der Saar sollen alle Kinder künftig länger gemeinsam die Schulbank drücken, allerdings nur ein und nicht zwei Jahre mehr, wie es Schwarz-Grün in Hamburg mit seinem kürzlich von einer Volksinitiative gestoppten Plan wollte. Die heiße Phase der Diskussion über das Reformpaket, dessen zweite Hauptsäule die Einführung einer Gemeinschaftsschule ist, soll im Saarland Anfang September beginnen. Dazu verschicke sein Ministerium in diesen Tagen Einladungen an über 40 Einrichtungen, sagte Kessler am Mittwoch in Saarbrücken. Unter den Adressaten seien Eltern- und Lehrerorganisationen, Schülervertretung, Gewerkschaften, Kirchen und Wirtschaftsverbände.
»Sie alle werden zu Diskussionsrunden zu mir ins Haus eingeladen und gebeten, eine Stellungnahme abzugeben«, erklärte der Minister. Bis Mitte November sollen alle Gespräche geführt, alle Stellungnahmen ausgewertet sein. Dann habe er »einen Überblick über die gesellschaftspolitische Diskussion des Reformvorhabens der Landesregierung«.
Fünf sind mehr als vier
Kessler erwartet keinen »Schulkampf« wie in der Hansestadt. Wie sein Chef Müller verweist er auf eine saarländische Besonderheit: »Bei uns bekommt das Gymnasium durch seine Festschreibung in der Verfassung die höchstmögliche Absicherung.«
Dadurch ist solchen Eltern und Pädagogen, die um die Existenz des traditionellen Bildungsinstituts bangen, schon mal der Wind aus den Segeln genommen, so das Kalkül. Zudem gibt es im früheren Bergarbeiterland an der Saar auch kein so geballtes und betuchtes Bildungsbürgertum wie in Hamburg, das den Widerstand an der Elbe organisiert hatte. Vor allem aber wollen die Jamaika-Koalitionäre die Betroffenen nicht vor ein vollendetes Konzept stellen.
»Wir haben von Anfang an einen behutsameren Weg eingeschlagen«, sagt Kessler. Schon im Vorfeld sollen alle Beteiligten »mitgenommen« werden. Aber inwieweit das gelingen wird? »Wir werden nach der Auswertung sehen, was geht und was nicht geht«, räumt der Minister ein. Insbesondere gegen die Einführung des fünften Grundschuljahres gibt es Widerstand aus allen Richtungen. Kessler sagt: »Auch Kritiker müssen zugeben: fünf sind mehr als vier«, er hat den Kritikern aber bisher nicht den Wind aus den Segeln nehmen können.
So ist der Philologenverband klar dagegen. Er befürchtet, dass »leistungsstarke« Kinder in der fünften Klasse nicht mehr genug lernen und auf dem Gymnasium künftig nur noch sieben statt bisher acht Jahre Zeit hätten, sich aufs Abitur vorzubereiten. Die Realschullehrer sehen das fünfte Grundschuljahr ebenfalls als Verschlechterung an. Denn in den »Erweiterten Realschulen« des Landes lernen die Kinder jetzt bereits sechs Jahre gemeinsam. Die Landeselterninitiative fragt sich, was ein solches »kümmerliches gemeinsames Lernen« bringen soll.
Skepsis bei SPD und LINKE
Auch die oppositionelle SPD zweifelt am Sinn der Übung. »Ich bin skeptisch, ob die Verlängerung der Grundschulzeit etwas bringt«, sagt deren Chef-Bildungspolitiker Ulrich Commerçon. Ähnlich wie die LINKE fordert er: »Statt eine reine Strukturdebatte zu führen, brauchen wir eine Qualitätsdebatte.« Gebot der Stunde seien unter anderem kleinere Klassen sowie die Verbesserung von Aus- und Fortbildung der Lehrer.
Um die Verfassung ändern zu können, ist die Koalition aus CDU, Grünen und FDP im Landtag auf Stimmen aus der Opposition angewiesen. CDU und FDP wollen ohnehin nicht den großen Wurf. Bei den Koalitionsgesprächen im Herbst schluckten sie die grüne Kröte »Schulreform« nur, weil diese sie zur Vorbedingung für ihre Politikehe mit Schwarz und Gelb gemacht hatten.
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