Donnerschlag zum Halleluja
Händels »Messias« bei den DomStufen-Festspielen in Erfurt
Zum 17. Mal DomStufen-Festspiele – längst ein fester Termin für Erfurt. Da bleibt bei der Premiere selbst der Dauerregen weg, der mache Probe ins Wasser fallen ließ. Leicht hatten es die Sänger, der Chor und das Orchester trotzdem nicht: Ein Feuerwerk zur Unzeit und in Hörweite ebenso wie der Dauertrommelwirbel eines Spielmannszuges funkten ihnen dazwischen. Tapfer musizierten sie gegen alle Widrigkeiten an.
Vor der traumhaften Kulisse von Mariendom und Severinkirche hatte es schon in den letzten Jahren eine Auswahl open-air-verdächtiger Sommertheater-Stücke gegeben: von »Carmina Burana« über »Jedermann« bis zu »Bajazzo« und »Cavalleria rusticana«. Aber auch Richard Strauss' »Friedenstag« und sogar Wagners »Fliegender Holländer« standen hier auf dem Programm. Direkt mit der sakralen Aura dieses Ortes spielten Honeggers »Johanna auf dem Scheiterhaufen« oder Haydns »Schöpfung« und – mit laizistischer Ironie aufgepeppt – »Luther – das Musical« und der Webber-Klassiker »Jesus Christ Superstar«.
In diesem Jahr flüchtet Regisseurin und Choreografin Rosamunde Gilmore mit ihrer Version von Händels »Messias« auch nicht in heiligen Ernst. Im Gegenteil. Die Ironie, mit der sie das Personal agieren lässt, gehört zum Besten des Abends – natürlich neben Händels Musik, die der erste Kapellmeister Samuel Bächli mit dem Philharmonischen Orchesters Erfurt in Mozarts Bearbeitung beisteuert. Großen Eindruck macht die sakrale Kulisse. Carl Friedrich Oberle hat nur ein paar Zypressen sowie ein paar Feuerschalen beigesteuert und als Clou die Stufen der Freitreppe mit einer riesigen Tafel überbaut, an der sich Leute von heute postieren – wie Touristen waren sie zuvor mit dem Bus angereist. Für die zehn Engel, die Gilmore unters Volk mischt, geht es über die Tafel nach unten. Flott münzen die Tänzer Händels Musik in Bewegung um.
Den vier Solisten, die wie Händels Zeitgenossen in der Kutsche daherkommen, nehmen die Geschichte vom Erlöser erst wie eine Unterhaltungsshow. Dann aber lassen sie sich, getragen von dem, was sie selbst singen, immer mehr gefangen nehmen, legen erst ihre Perücken und dann die restliche barocke Garderobe ab, in die Hank Irwin Kittel sie gehüllt hatte. Wenn dies der eine Teil der Botschaft ist, dann liefert die Unterbrechung des Halleluja-Chores durch einen Donnerschlag den zweiten Anlass zur Nachdenklichkeit, der gut zu dem Totengräber passt, der unauffällig, aber beharrlich an einem metaphorischen Grab schaufelt ...
Gilmore gelingt es, mit ihrem Ensemble den weitläufigen Raum tatsächlich zu füllen, ihre singenden Protagonisten (Ilia Papandreou, Mirelle Lebel, Uwe Stickert und Sebastian Pilgrim) schlagen sich achtbar. Wenn das Wetter mitspielt, dann kann man jetzt auf den Domstufen einen Abend mit Händel-Musik erleben, der hierher passt und doch auch einen ironisch kommentierenden Abstand zum Hit des populärsten der Händel-Oratorien wahrt.
Weitere Aufführungen: 18. bis 22.8. und 25. bis 29.8.
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