Deutsche erster und zweiter Klasse
Ostdeutsche SPD-Regierungschefs beklagen mangelnden Willen der Westdeutschen zur Einheit
Berlin (dpa/ND). Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hat eine wachsende Stimmungsmache gegen ostdeutsche Länder kritisiert. Vielerorts gebe es in den westlichen Ländern quer durch die Parteien eine Stimmung des Vergleichens und Missgönnens, sagte Platzeck der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Er räumte ein, dass es in Brandenburg inzwischen gute Straßen und schöne, wiederhergestellte Ortskerne gebe. Das sähen die Leute, Industriebrachen dagegen schon seltener. Zudem gebe es in Ostdeutschland eine strukturell doppelt so hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Wirtschaftskraft und kaum Industrieforschung.
Zuvor hatte bereits Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) den Westdeutschen vorgeworfen, den Ostdeutschen nicht aufgeschlossen genug zu begegnen. Auch nach Ansicht von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) lässt das Gemeinschaftsgefühl der Deutschen in Ost und West noch zu wünschen übrig.
Im alten Westen wollten manche nicht wahrhaben, wie das Befinden im Osten ist, sagte Wowereit der »Berliner Zeitung«. Das gelte selbst für Berlin, wo die Bevölkerung sich in den 20 Jahren seit der Wiedervereinigung am stärksten gemischt habe. Im Westteil Berlins gebe es Leute, die immer noch keinen Fuß in den Osten der Stadt setzen und die Linkspartei für böse Kommunisten halten. Doch gebe es auch immer noch Ostberliner, die dächten, in der DDR sei alles schön gewesen. Er finde beide Positionen furchtbar, sagte Wowereit.
»Dass sich auch zwanzig Jahre nach der Wende mehr als die Hälfte der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühlt, ist ein Alarmsignal«, sagte Sellering auf einem Empfang zum 9. Mecklenburg-Vorpommern-Tag in Schwerin. »Ein fast noch größeres Alarmsignal ist, dass auch jeder vierte Westdeutsche die im Osten für Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse hält.« Um sich zu verstehen und zu achten, müsse man sich wenigstens kennenlernen. Bis heute aber sei ein Drittel aller Westdeutschen noch nie im Osten gewesen, beklagte Sellering.
Wowereit betonte, er habe auch nie verstanden, wenn Westberliner sich durch den rot-roten Senat vernachlässigt gefühlt hätten. In Ostberlin sei der Investitionsbedarf in den vergangenen Jahren nun mal deutlich größer gewesen. »Viele haben das akzeptiert, manche können es bis heute nicht«, sagte Wowereit. In diesem Zusammenhang nannte er auch die Debatten um das Berliner Schulpflichtfach Ethik. Die Initiatoren von Pro Reli – die Initiative wollte vergeblich ein Wahlpflichtfach Religion durchsetzen – hätten nicht verstanden, wie diese Stadt ticke.
Der Schweriner Regierungschef beklagte auch, dass der Osten beim Lohnniveau noch immer zurückhänge. »Es ist doch beschämend, dass beim Mindestlohn für Pflegekräfte unterschiedliche Beträge für Ost und West gelten.« Zudem sei es unverständlich, dass es 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch eine Rente Ost und eine Rente West gebe, sagte Sellering.
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