Der »absolute Blick«
Klassische Moderne und Jean-Michel Basquiat (1960–1988) in der Fondation Beyeler
Schönheit macht optimistisch«, und genau dieses aktivierende Gefühl überkommt einen im Kunstraum der Fondation Beyeler. In Riehen bei Basel ist mit dem 1997 fertiggestellten Neubau vom Renzo Piano ein Zusammenspiel von Architektur, Natur und Kunst arrangiert, das jene positive Wirkungsmacht entfaltet. Hier waren mit dem Kunstsammlerehepaar Ernst und Hildy Beyeler Menschen am Wirken, die ihr zweifelsohne beachtliches Vermögen zur Bereicherung im besten Sinne des Bürgersinns gewinnbringend eingesetzt haben. Das ist nun heute, wo allenthalben private Sammler Museen eröffnen, bzw. kapitale Sammlungen in die Staatlichen Museen entliehen werden, keine Einmaligkeit, aber die Fondation Beyeler ist ein besonderer, charismatischer Kunstort.
Der von einer Porphyrmauer geschützte langgestreckte Bau zeigt sich in der Außenwirkung eher schlicht, fast streng, und beeindruckt mit würdevoller Präzision im Innern. Die Fondation liegt eingebettet in eine modern interpretierte englische Parkanlage mit Blick auf Felder und Weinhügel. An diesem Ort erfährt man etwas von der eigenen Sehnsucht nach Harmonie, die, ebenso wie ein guter Kuchen Safran braucht, eine Dosis Reibung benötigt: Da teilt sich eine Leichtigkeit mit, die ob einer Sichtbetonwand erst fein wirken kann. Renzo Piano baut etwa die Orangerie als zenbuddhistischen Ort der Einkehr mit Blick in die Weite. Sein Entree führt bergab wie in einen Bunker, um hernach in eine lichte Kunsthalle zu münden. Im Garten warten weitschwingende Kieswege und ein monumentales Calder-Windspiel in Schwarz, als kreisten Hitchcocks Vögel über der Wiese.
Der einstige Baseler Antiquar, Galerist und Messebegründer Ernst Beyeler (1921–2010) entwickelte gemeinsam mit seiner Ehefrau Hildy aus seiner Lust auf Schönes und der Neugierde zur Kunst schließlich die vielfach gerühmte Sammlung erster Werke der klassischen Moderne von Cézanne, Monet, Picasso, Kandinsky, die mit afrikanischer und zeitgenössischer Kunst ergänzt wurde und 1989 zum ersten Mal der Öffentlichkeit in Madrid vorgestellt worden war. In diesem Frühjahr ist Beyeler im Alter von 88 Jahren, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau, verstorben. Er galt als ein Mann mit dem »absoluten Blick« für Qualität und stiller Demut vor der Kunst. Als derzeitigen Kurator der Sammlung hatte er selbst noch Samuel Keller, seit 2000 Direktor der ArtBasel, berufen.
In diesem Sommer gab es in der Fondation, die ob ihrer gelungenen Ganzheitlichkeit und des aktiven Ausstellungsengagement als ein Pilgerort der schönen Künste gelten kann, eine Wiederentdeckung: Sam Keller präsentierte in Zusammenarbeit mit dem Musée d'art moderne de la Ville de Paris den US-amerikanischen Künstler Jean-Michel Basquiat (1960– 1988), der in diesem Jahr fünfzig geworden wäre. Es ist die erste europäische Werkschau des mit siebenundzwanzig Jahren verstorbenen Künstlers mit Brooklyn-Habitus. Der mit Andy Warhol befreundete Künstler gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Achtziger-Jahre-Kunstwelt und startete im New Yorker Underground als Graffiti-Sprayer, Musiker und Schauspieler, ehe er seine garstigen Figuren in die schicken Galerienviertel von Soho sprayte. Der Sohn vermögender karibischer Einwanderer war mit einem immensen Schaffensdrang ausgestattet. Fast erdrückend wirkt die Anzahl von über 1000 Gemälden und mehr als 2000 Zeichnungen, betrachtet man die Lebenszeit des jungen, so sympathisch aussehenden Dandy-Rebellen, in Anzug und weißen Schuhen, dem als erstem schwarzen Künstler der internationale Durchbruch gelang. Gerade noch zeitig genug wurde er von Galerien entdeckt – und vermarktet. Und obwohl er 1982 der jüngste documenta-Teilnehmer war (documenta 7/Kassel) und auf der Biennale in Venedig ausstellte, galten seine eiligen, berstenden Kritzeleien vielen als zu oberflächlich und bislang nicht unbedingt museumswürdig.
Basquiat starb infolge seines Heroinkonsums. Die rasant auf die unbehandelte Leinwand gezeichneten, gemalten, geklecksten Figuren lassen aber auch erahnen, wie sein Schaffensfieber an der Auszehrung der Kraft teilhatte. Auf den ausgestellten etwa einhundert Acrylbildern sieht man Schreckensmänner, Totengerippe, Strichmännchenbauern mit Ziege und Kuh, Boxer und Kraftprotze, Schriftzeichen und sonderbare Gegenstände. Sein Oeuvre wirkt wie ein archaisch-modernes Lebens- und Totenbuch, und der Betrachter wird sich kaum der Energie der Arbeiten entziehen können. Sie vermitteln etwas von der Vielfalt dieser Welt, von einem unbedingten expressiven Realismus, der eben einschließt zu verstehen, dass man als Botschafter der Straße sich nicht in Wohlausgewogenheit mitteilt. Da geht es fieberhaft, rasant und fröhlichwütig zu. Das Leben ein Tanz auf dem Vulkan.
Zweiundzwanzig Räume stehen in der Fondation der Kunst zur Verfügung und überraschende Kontexte entfalten sich beim Rundgang: Nach den urbanen Bildern Basquiats gelangt man etwa zu den »Nymphéas« (1916–19), einem der weltberühmten und teuersten Seerosenstücke von Monet, oder zum grüngelb wogenden Sommerbild »Champ aux meules de blé« von van Gogh und erholt das Auge, obwohl gerade diese Malereien auch als Fegefeuer der Kunst von Zeitgenossen wahrgenommen worden waren. Weiter geht es zu den geschundenen Figuren von Francis Bacon, über deren Wahlverwandtschaft mit Pablo Picassos furiosen Bildnissen nachzudenken immer wieder lohnt. Dann die farbberauschende »Fuga« (1914) von Wassily Kandinsky und monochromes Grau von Gerhard Richter. Paul Klees »Waldhexen« (1938) wiederum scheinen europäische Schwestern von Michel Basqiuats Bildweibern zu sein.
Fondation Beyeler, Beyeler Museum AG, Baselstraße 101, CH-4125 Riehen/Basel, geöffnet täglich 10-18, Mi 10-20 Uhr. »Basquiat« in der Fondation Beyeler bis 5.9.
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