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Die Welt muss neu werden

Der Redaktionsbriefwechsel der Junghegelianer

  • Gert Lange
  • Lesedauer: 4 Min.

Der seit 1840 in Berlin lebende russische Anarchist Michail Bakunin und der Dichter der 1848er Revolution, der schwärmerische Georg Herwegh, haben einst gemeinsam einen Brief geschrieben. Aus Basel, wohin sie die Reaktion vertrieben hatte. Gerichtet ist ihr Schreiben vom 8. Januar 1843 an Arnold Ruge, in gewisser Weise das organisatorische Haupt der Junghegelianer, der noch in Dresden weilte und auch bald emigrieren musste, nach Paris, wo er mit Karl Marx dann die »Deutsch-Französischen Jahrbücher« herausgeben sollte.

Die freundlichen, mit dem Humor standhafter, wenngleich unterlegener Kampfgefährten geschriebenen Zeilen markieren das nahe Ende der junghegelianischen Bewegung. Unter dem (staatlichen) »Terrorismus, vor welchem wir alle wie Birkhühner vor einem Habicht auseinandergeflogen sind« (Bakunin), versuchen sich die Protagonisten noch einmal zu formieren, aber die »Deutsch-Französischen Jahrbücher« erscheinen nur als ein Doppelheft. Sie waren »geradezu als Fortsetzung der 1837 gegründeten »Hallischen«, später »Deutschen Jahrbücher« angelegt, wie Ruge vermerkte. Diese Kontinuität ist in der marxistischen Rezeption wenig beachtet worden – wie überhaupt der Junghegelianismus, vor allem in der offiziösen Geschichtsschreibung, als intellektuelles Gezänk in der Nachfolge Hegels ohne praktischen Bezug abgetan wurde. Aber es war eine wirkliche Bewegung, die weit über den Kreis der Autoren der Jahrbücher und einiger Aufsehen erregender Werke wie David Friedrich Strauß' »Das Leben Jesu« oder Feuerbachs »Das Wesen des Christentums« hinausging.

Der mit dem »Vormärz« bestens vertraute Historiker Martin Hundt hat jetzt im Akademie Verlag den gesamten Redaktionsbriefwechsel vorgelegt, unter anderem eine außerordentliche Vielzahl von Erstdrucken bisher wenig bekannter oder unbekannter Autoren. Er dokumentiert damit nicht nur, dass das eigentliche publizistische Zentrum des Junghegelianismus eben diese Jahrbücher waren, sondern auch dass Ruge als ein selbstständiger Denker anzusehen ist, der 1843 als seine erste These Hoffmann von Fallersleben diktierte: »Die Welt muß neu werden« – ganz nah dem heutigen Slogan: »Eine andere Welt ist möglich.«

Die angebliche Beschränkung allein auf philosophische Debatten hat sich im Verständnis des linken Hegelianismus unter den historischen (linken) Erben erhalten. Aber Ruge betont mehrfach die politische Zielrichtung, etwa wenn er im Brief an den Oldenburger Philologen Adolf Stahr, einen der fleißigsten Rezensenten (später mit Fanny Lewald verheiratet), schreibt: »Wir gehen einer Entwicklung entgegen, die gewaltig und gründlich ist. Denn die Freiheit, die durch alle jene Phasen hindurchgeht, wird einen so fanatischen Gegensatz hervorrufen, daß die Geschichte Ernst wird und die historische Entwicklung die philosophische aufnimmt. Die Anknüpfung an die Religion ist die eine Handhabe, die an die Politik die andre.«

Das in der Tradition der Aufklärung stehende Bestreben, die progressiven Inhalte der Hegelschen Philosophie über Hegel hinaus weiterzuführen, musste sehr schnell in politische Kritik münden. Es hatte also praktische Konsequenzen für das Kräfteverhältnis zwischen der mittelalterlich-romantischen Repressionspolitik Friedrich Wilhelms IV. und der republikanischen Freiheitsbewegung. Das war den Regierungen von Anfang an klar. Deshalb strengste Zensurknebeleien, Artikeltilgungen, Verbot der Jahrbücher in Preußen, Polizeiaktion gegen die Druckerei in Dresden, wohin die Redaktion geflüchtet war, letztlich Vertreibung aus Sachsen. Im Januar 1843, nachdem auch die »Rheinische Zeitung« verboten war, schreibt Marx deprimiert: »In Deutschland kann ich nichts mehr beginnen. Man verfälscht sich hier selbst.«

Als die drei Quellen des historischen Marxismus werden gewöhnlich genannt: der französische utopische Sozialismus, die englische politische Ökonomie und die klassische deutsche Philosophie. Letztere wäre zu spezifizieren: der Junghegelianismus. Er war die Brücke zur Theorie des Sozialismus und Kommunismus. »Allein mit Hegels Werken wäre Marx nicht dahin gelangt«, so Hundt.

Dass in der DDR diese Phase der Ideengeschichte nur zögerlich beleuchtet wurde, hatte mehrere Gründe. Zum einen hasste Stalin und sein ZK Hegel seiner Dialektik wegen. Dennoch wurden Hegel-Studien etwa von Georg Lukács und Ernst Bloch gedruckt. Zum anderen machten die Linkshegelianer, vor allem Ludwig Feuerbach, vor, wie man bei aller Ehrerbietung einen »Klassiker« kritisch lesen und seine Denkansätze im doppelten Sinne »aufheben« kann. Schließlich hat Friedrich Engels' Spätschrift »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie«, weitgehend aus der Erinnerung und ohne genaue Kenntnis der philosophisch-theologischen Debatten geschrieben, zur Unterschätzung der Junghegelianer beigetragen.

Hundt weist darauf hin, dass viele Junghegelianer auch nach dem Ende der Jahrbücher und während der Revolution von 1848 eine treibende Rolle gespielt haben. Beispielhaft ist Ruges immer noch aktueller Buchessay »Der Patriotismus« (1844), eine ätzende Kritik, die jeglichen Patriotismus als Herrschaftsstrategie entlarvt.

Martin Hundt (Hg.): Der Redaktionsbriefwechsel der Hallischen, Deutschen und Deutsch-Französischen Jahrbücher (1837 - 1844). Akademie Verlag, Berlin. 1650 S., geb., 298 €.

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