Das Wunderkind und der Jüngling
Ich & Orson Welles - von Richard Linklater
Mit seinem ausschließlich schwarz besetzten Voodoo-»Macbeth« hatte Orson Welles Furore gemacht, 1936 in Harlem. Da war er zwanzig. Mit »Caesar« brachte Welles im November 1937 einen weiteren Shakespeare auf die Bühne und setzte gleich wieder Maßstäbe, diesmal direkt am Broadway. In zeitgenössischen Anzügen und faschistischen Uniformen, mit einem Minimum an Ausstattung und einer Lichtregie, die an die Selbstinszenierung europäischer Diktatoren erinnerte – dieser Julius Cäsar hatte mehr von Mussolini als von einem römischen Imperator des klassischen Altertums. Und kurz war das Stück unter Welles' Regie auch, kaum länger als der durchschnittliche Kinofilm der Zeit.
Der legendäre Überraschungserfolg mit H.G. Wells’ »Krieg der Welten« als Live-Radio-Show (die eine Massenpanik auslöste, weil viele das Hörspiel über eine Landung Außerirdischer für die Reportage einer tatsächlichen Invasion hielten), sollte im nächsten Jahr folgen, die filmische Unsterblichkeit mit »Citizen Kane« lag noch vier Jahre in der Zukunft. Ebenso wie die zahlreichen Misserfolge, die vielen verstümmelten Filme, der Streit mit den Produzenten um das finale Recht am Filmschnitt, um Finanzierung, künstlerische Autonomie und den ganzen sonstigen Nachruhm. Welles war zweiundzwanzig, ein frühreifes Wunderkind aller Medien, ein Mann voller Visionen und vieler Gelüste, ein Genie und Tyrann und ein Liebling der Frauen. Und mehr als nur ein bisschen megaloman.
Um all das zu zeigen und zugleich einen Blick hinter die Kulissen der ersten Produktion des Mercury Theatre zu werfen, das Welles und Theaterleiter John Houseman eben gegründet hatten, lässt Regisseur Richard Linklater (nach dem Roman eines schreibenden Englischlehrers namens Robert Kaplow) einen Neuling in die Theaterproben hineinstolpern und das Geschehen vor, auf und hinter der Bühne mit staunenden Augen betrachten. Dieser zweite Titelheld heißt Richard Samuels und ist ein aufstrebender junger Mann aus New Jersey (wo Kaplow unterrichtet), ein Schüler, der im Englischunterricht zwar selten aufpasst, aber ganz bestimmt mal Künstler werden möchte – und berühmt. Als Dichter von Liedtexten vielleicht, als Romanschreiber oder Bühnenautor.
Weil man Richard, den alle Junior nennen, erklären muss, wer hier wer ist und wie das alles zusammenhängt am Theater, erfährt auch der Zuschauer, wer da wer ist beim Mercury Theatre und wie jeder mit jedem zusammenhängt. Und wenn selbst der naive Neuzugang schon mal von jemandem gehört hat, dann kann der Zuschauer sicher sein, dass es sich um eine wirklich allseits bekannte Größe handelt. Um Brooks Atkinson zum Beispiel, den nahezu allmächtigen Theaterkritiker der New York Times anno 1937. Oder David O. Selznick, den Produzenten, der sich im fernen Hollywood anschickte, »Vom Winde verweht« zu verfilmen.
Der hochgelobte Christian McKay spielt Welles als einen Mann von Licht und Schatten, der auf der Bühne weniger seinen Brutus probt als die Rolle seines Lebens, die des genialen (und oft verkannten) Regisseurs und Multitalents Orson Welles. Zac Efron, Teenager-Idol seit seiner Hauptrolle in Disneys »Highschool-Musical«-Reihe und optisch ein Mix aus Tyrone Power und Casey Affleck, könnte frischer sein als Junior, unverbrauchter und fragiler, schlägt sich aber ganz wacker.
»Ich & Orson Welles« ist ein Theaterfilm. Die wirkliche Welt der Wirtschaftskrise und Weltkriegsängste bleibt weitgehend vor der Tür. Zeitkolorit wird über Frisuren, Make-up und den Soundtrack transportiert (Gershwin, Irving Berlin und Richard Rodgers, die Orchester von Benny Goodman und Jools Holland), über eine nostalgiebraune und technicolor-rote Farbpalette, nicht über Handlung oder Dialoge. Ganz anders als noch in »Das schwankende Schiff«, mit dem Tim Robbins vor rund zehn Jahren einen filmischen Blick auf Proben und Aufführung von »The Cradle Will Rock« warf, eine politisch (besonders) brisante Bühneninszenierung des jungen Welles, die (natürlich!) ebenfalls Theatergeschichte schrieb.
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