Nur 800 für Brüsseler Großdemo?
DGB mobilisiert verhalten zur europäischen Gewerkschaftsmanifestation in Brüssel
Die EGB-Führungsgremien rufen für den 29. September zur europaweiten Demonstration in Brüssel auf. Anlass ist dem Vernehmen nach, dass dort am selben Tag auch das Treffen des EU-Finanzminister stattfinden. »Diese Krise haben nicht wir zu verantworten, die Rechnung muss von den Banken bezahlt werden und nicht von den Arbeitnehmern«, heißt es in dem EGB-Aufruf, der sich ausdrücklich gegen Sparmaßnahmen, Lohnkürzungen, Prekarisierung und die Deregulierung des Arbeitsrechts ausspricht. Der Appell spricht sich für ein Recht auf hochwertige Arbeitsplätze, existenzsichernde Entlohnung, Wahrung der Kaufkraft, optimale Rentenversorgung und allgemein zugängliche hochwertige öffentliche und soziale Dienstleistungen aus. Vor dem Hintergrund von 23 Millionen Arbeitssuchenden in Europa und vielen Millionen in unsicheren Arbeitsverhältnissen nähmen fast überall die sozialen Spannungen zu, stellt der Dachverband fest.
Für deutsche Gewerkschafter Grund genug, um in Brüssel den Schulterschluss mit den EGB-Gewerkschaften zu festigen und international Druck zu machen. Dass solche Mobilisierungen nicht nur Symbolik sind, sondern auch handfeste Erfolge zeitigen können, zeigen die Bewegungen gegen die Europäische Dienstleistungsrichtlinie (»Bolkestein-Papier«) 2005 und 2006 ebenso wie der jahrelange Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen das »Port Package«, die Richtlinien zur Liberalisierung der Arbeit in den Seehäfen, deren Verwirklichung viele tausend qualifizierte und gut bezahlte Jobs vernichtet hätte. Mehrere Gewerkschafter bestätigten, dass solche Ereignisse Motivation für den täglichen Kleinkrieg im Betrieb gebracht haben.
Doch eine konsequente Mobilisierung im DGB und den Einzelgewerkschaften ist bislang kaum wahrnehmbar. Das mag an der Sommerpause liegen. Unterdessen hält sich jedoch das Gerücht, dass der DGB intern für den 29. September eine Teilnehmerzahl von lediglich 800 nach Brüssel gemeldet hat. Dies erklärten mehrere Gewerkschafter auf ND-Anfrage. Die Zahl werde heruntergebrochen auf die westlichen DGB-Bezirke, also das Gebiet von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland, heißt es. Dort müsse der DGB dann die zentral bestellten Buskontingente füllen. Dass Gewerkschafter aus andere Regionen sich auf den Weg nach Brüssel begäben, sei wegen der Entfernung realistischerweise nicht anzunehmen, meint ein Insider. Dass dieses Plansoll durchaus bescheiden ist, bestätigte ein DGB-Funktionär in NRW: »Wir haben schon jetzt aus allen Regionen mehr Anfragen als ursprünglich erwartet.« Nach Ende der Schulferien werde das Interesse sicherlich weiter steigen.
Da die Ostgrenzen der westlichen DGB-Bezirke auch mitten durch mehrere Ballungsgebiete verlaufen, könnte eine allzu enge Auslegung der Vorgaben aus der Berliner DGB-Zentrale zu der grotesken Situation führen, dass Gewerkschafter aus Limburg, Rüsselsheim oder Mannheim nicht mit nach Brüssel fahren dürfen, während ihre in Mainz oder Ludwigshafen tätigen Kollegen das Glück haben, zur richtigen, linken Rheinseite zu gehören. »Natürlich sind auch Kollegen aus Baden-Württemberg und Hessen in unseren Bussen willkommen«, bestätigt uns indes ein DGB-Sekretär in Rheinland-Pfalz. Die reichhaltigste praktische Erfahrung in Sachen Internationalismus dürfte der saarländische DGB haben, der seit Jahrzehnten die grenzüberschreitende, enge Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in Frankreich, Luxemburg und Belgien pflegt.
Etliche Gewerkschafter werden am 16. September von der Saar nach Luxemburg reisen. Dort wollen die beiden größten Gewerkschaftsverbände im Großherzogtum mit einer Kundgebung gegen ein drastisches »Sparpaket« der Regierung Juncker protestieren. Die darin vorgesehene Kürzung des Kindergelds sowie die Beschneidung der Kilometerpauschale trifft auch die 7000 »Grenzgänger« hart, Saarländer, die als Pendler in Luxemburg arbeiten.
Im Saar-DGB blickt man daher gespannt auf den 16. September. Denn auch von der Beteiligung an dieser Demo wird abhängen, ob der als »geschmeidig« geltende Juncker sein Kahlschlagspaket durchpeitscht oder davor zurückschreckt. Vielleicht springt dann der Funke von Luxemburg doch noch auf den deutschen Westen über.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.