Haltbarkeitsdauer ungewiss

Regierungspläne für Sicherungsverwahrte stiften Verwirrung und Zweifel

Die von der Bundesregierung geplante Einführung neuer Sicherungsanstalten für etwa 80 nach einem Straßburger Gerichtsurteil freizulassende Straftäter stößt bei Bundesländern und Fachverbänden auf Einwände. Auch LINKE und Grüne kritisierten die Pläne.

Einen Tag nach der Einigung zwischen Union und FDP mühten sich alle Seiten zu verstehen, was der Kompromiss zwischen Justiz- und Innenministerium eigentlich enthält. Beendet ist die Diskussion um die Sicherungsverwahrung jedenfalls nicht. Die für die Umsetzung zuständigen Länderjustizminister sehen noch erheblichen Klärungsbedarf.

Erstaunlich ist das nicht: Erstens gibt es bisher keinen richtigen Gesetzentwurf. Alle Einschätzungen basieren auf Aussagen der zuständigen Justiz- und Innenminister oder auf einem dreiseitigen Eckpunktepapier. Unklare Formulieren und Regelungsweite sorgen für Verwirrung. »Gestern war kein Tag der Klarheit, sondern der Nebelkerzen, die sowohl de Maizière, als auch Leutheusser-Schnarrenberger geworfen haben«, sagte der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag.

Bei der Sicherungsverwahrung bleiben Täter, die als besonders gefährlich gelten, auch nach Verbüßen ihrer Strafe weggesperrt. Der Gesetzentwurf für eine Neuregelung soll bereits am kommenden Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden.

Ein Teil davon regelt den Umgang mit sogenannten Altfällen, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrecht freigelassen werden müssen. Hier ist nun die Rede von neuen Therapieeinrichtungen für »psychisch Gestörte«, die etwas anderes als Strafhaft, aber auch etwas anderes als Psychiatrie sein sollen. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die bisher »keinerlei Spielraum« für ein weiteres Wegsperren gesehen hatte, will noch prüfen, ob die neue Form der Unterbringung auch noch rückwirkend auf die 16 Straftäter angewendet werden könne, die in den vergangenen Wochen bereits freigekommen sind.

Unklar ist, ob die Altfälle damit überhaupt erfasst werden können. Denn psychisch Kranke dürften gar nicht in Sicherungsverwahrung sitzen, sondern gehören in die Psychiatrie. Werden die nun einfach umgestempelt? Aus Sicht von Jerzy Montag ist für die in Rede stehenden 80 Leute »überhaupt kein Vorschlag gemacht worden«. Andere meinen, das sei auch gar nicht nötig: Für Fachverbände und LINKE-Politiker gibt es nur eine mögliche Konsequenz aus dem Straßburger Urteil – die sofortige Freilassung.

Nach den Regierungsplänen sollen die Betroffenen in den Neueinrichtungen therapeutisch auf die Freiheit vorbereitet werden. Das klingt nach eklatanten Versäumnissen, wenn man bedenkt, dass all diese Menschen schon seit vielen Jahren eingesperrt sind. Entscheidend sei, sagt der Deutsche Anwaltverein (DAV), dass die von der Sicherungsverwahrung oder -unterbringung betroffenen Täter »ernsthafte therapeutische Bemühungen erhalten«. Hier müsse ein dichtes Regelwerk geschaffen werden, das die staatlichen Stellen dazu zwinge, alle Möglichkeiten zur Therapie und Heilung auszuschöpfen. Richter müssten nicht nur die Fortdauer der Unterbringung überprüfen, sondern auch, ob die Betroffenen überhaupt die Chance zur Besserung bekommen.

Die Justizminister der Länder, die für die Umsetzung zuständig sind, bewerten die Pläne unterschiedlich. Während Hessen die Unterbringung als gefährlich eingestufter Straftäter rasch und länderübergreifend neu regeln will, macht Hamburgs Justizsenator ein großes Fragezeichen. Till Steffen (Grüne) bezweifelt, dass der Kompromiss den europäischen Vorgaben entspricht. Mit Millionen-Investitionen in neue Sicherungsanstalten wird er vorerst warten .

Weniger in der Diskussion sind die generellen Pläne für die Zukunft der Sicherungsverwahrung, die ebenfalls am Mittwoch beschlossen werden sollen. Sicherungsverwahrung soll künftig auf Gewalt- und Sexualverbrecher beschränkt werden. Denn anders als in der Öffentlichkeit bekannt, sitzen derzeit auch zahlreiche Menschen wegen Diebstahls oder Betrugs – also keinen Gewaltdelikten – seit vielen Jahren in Sicherungsverwahrung. An anderer Stelle bedeuten die Regierungspläne dagegen eine Ausweitung. So sollen künftig auch Ersttäter in Verwahrung geschickt werden, zudem soll die »vorbehaltene Sicherungsverwahrung« leichter angeordnet werden können. Sie wird als Option schon im Urteil vermerkt, aber erst am Ende der Haft entschieden. Der DAV befürchtet daher, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten, die auf über 500 Menschen angestiegen ist, weiter zunehmen wird. Von der angekündigten Abschaffung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist in den Eckpunkten dagegen keine Rede mehr. Dieses Mittel werde »obsolet«, heißt es nun lediglich.


Fakt

Ausgelöst wurde die Diskussion durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Er hatte schon im Dezember entschieden, dass die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Für die Richter war kein wesentlicher Unterschied in der Ausgestaltung von Strafe und Sicherungsverwahrung erkennbar, weshalb die 1998 beschlossene Abschaffung der Zehn-Jahres-Höchstgrenze nur als Verlängerung der Strafe zu betrachten sei. Dies widerspricht aber dem Rückwirkungsverbot. Mindestens 80 Sicherungsverwahrte sind von diesem Urteil betroffen. Vor allem Unionspolitiker wollen ihre Freilassung verhindern.

Die Einigung in der Koalition soll für psychisch gestörte Gewalttäter unter diesen »Altfällen« gelten. Diese sollen in geschlossenen Einrichtungen außerhalb von Gefängnissen mit einer Therapie auf ihre Freilassung vorbereitet werden.

Darüber hinaus einigte sich die Koalition auf eine Reform der Sicherungsverwahrung, die jedoch nur für künftige Fälle gilt. Danach soll die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut werden und künftig auch bei Ersttätern anwendbar sein. Das heißt, ein Richter kann im Urteil die Entscheidung über eine Sicherungsverwahrung offenhalten. Zudem soll die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und Sexualverbrecher eingeschränkt werden.
IW
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