Labour wählt neuen Parteichef

Miliband-Brüder gelten als Favoriten

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Anders als bei der Wahl vor 16 Jahren, als die Folgen linken Sektierertums überwunden werden mussten, sucht die britische Labour Party einen neuen Parteiführer diesmal auf dem Hintergrund einer 13-jährigen Regierungszeit, in der unter den Premiers Blair und Brown viele sozialdemokratische Grundwerte nach rechts verramscht und in Afghanistan und Irak zwei Kriege begonnen wurden.

Wie 1994, als Tony Blair das Rennen machte, erfolgt auch die jetzige Wahl zu einer Zeit, da die reformistische Arbeiterpartei im Unterhaus in der Rolle der Opposition ist. Labour war Anfang Mai bei der Parlamentswahl unter Gordon Brown in die Opposition geraten und befindet sich seitdem im Umbruch. Während die konservativ-liberale Regierung von Premier David Cameron, erstmals seit 65 Jahren eine förmliche Koalitionsregierung, dem Land ein rabiates Sparprogramm verordnet hat, läuft bei Labour die Abrechnung mit der Bilanz des Projekts »New Labour«. Dazu gehört die Neuwahl des »Leaders«, des Parteiführers. Das Amt hatten in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zunächst Blair und in den letzten drei Jahren Brown inne.

Kurz nach der Wahlniederlage hatte Labours Nationales Exekutivkomitee festgelegt, den neuen Leader – und damit den künftigen Oppositionsführer im Parlament – bis zum Beginn des Jahresparteitags am 25. September zu wählen. Fünf Politiker warfen ihren Hut in den Ring, nachdem sie das erforderliche Minimum von 33 Befürwortern aus dem Kreis der derzeit 258 Labour-Abgeordneten vorweisen konnten: der ehemalige Außenminister David Miliband, sein jüngerer Bruder, der vormalige Energieminister Ed Miliband, der frühere Bildungsminister und Brown-Vertraute Ed Balls sowie der frühere Gesundheitsminister Andy Burnham. Unmittelbar vor Meldeschluss schaffte es als fünfte die Unterhausabgeordnete Diane Abbott auf die Liste. Die Hinterbänklerin, eine Vertreterin der gemäßigten Linken, ist die erste schwarze Kandidatin, die sich um das Amt an der Spitze der Partei bewirbt.

Die Brüder David und Ed Miliband gelten als aussichtsreichste Anwärter für Browns Nachfolge. Es wird mit einem knappen Ausgang gerechnet. Die Kampagne läuft bemerkenswert engagiert und sachlich. Die Hoffnungen der regierenden Konservativen und der überwiegend rechten britischen Medien auf ein Zerfleischen Labours erfüllten sich nicht. Ebenso auffällig ist, dass die Hoffnungen des in Misskredit geratenen Flügels von New Labour in der anstehenden Wahl auf David Miliband (45) ruhen, während Blair über Bruder Ed – einen Politiker mit Ausstrahlung, Energie und erkennbar sozialen Positionen – zuletzt von der konservativen »Mail on Sunday« mit den Worten zitiert wird, dessen Sieg käme für Labour einer »Katastrophe« gleich. Ed Miliband (39) hat im Interview mit dem »Independent« gerade höhere Steuern für Reiche sowie eine stärkere Beteiligung der Großbanken an der Sanierung des britischen Staatshaushalts gefordert und die Notwendigkeit betont, dass Labour Wähler mit kleinen und mittleren Einkommen zurückgewinnt.

Am heutigen Mittwoch beginnt die dreiwöchige Abstimmung über den neuen Führer. Wahlberechtigt sind alle Parteimitglieder (derzeit nur noch rund 160 000), alle Abgeordneten des britischen und die britischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowie die Gewerkschaften und Vereine, die traditionell der Labour Party nahe stehen. Jede der drei Gruppierungen hat ein Stimmengewicht von einem Drittel. Stimmen für die fünf Anwärter, die heute und am Sonntag in Fernsehdebatten aufeinander treffen, können bis 22. September abgegeben werden. Drei Tage darauf, zu Beginn des Jahresparteitags der Labour Party, soll das Ergebnis verkündet werden, ehe der neue Chef am 28. September seine Grundsatzrede vor den Delegierten hält. Dass es mit Diane Abbott erstmals eine Frau sein könnte, gilt als ausgeschlossen.

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