Ein unbarmherziges Schweigen
Gedenken von Kriegsgegnern zum Jahrestag der Bombardierung zweier Tanklaster bei Kundus
Der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal telefonierte genau vor einem Jahr mit einem Bekannten aus Kundus. Der erzählte ihm, dass das Krankenhaus voll von Kindern mit Brandverletzungen sei. Er habe auch viele Leichen gesehen. Popal stutzte. Er hörte in den deutschen Medien nur von einem erfolgreichen Schlag gegen die Taliban. Nun hatte sein Informant etwas anderes gesehen als das, was in Deutschland als Wahrheit verkauft wurde.
Seitdem hat Popal mit vielen Angehörigen von Opfern des Bombenangriffs auf zwei Tanklaster gesprochen. »Viele stammen aus dem Dorf Hadschi Amanullah«, sagte er auf einer Gedenkveranstaltung am Samstagabend. Mehr als hundert Friedensaktivisten mahnten am Jahrestag der Bombardierung in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche vor einer weiteren kriegerischen Eskalation in Afghanistan.
Ein großes Porträtfoto auf einer Leinwand im Kirchenraum zeigte die alte Frau Bulbul. Ihr Blick ist leidvoll gesenkt. Sie hat zwei Enkel verloren, die sich aus dem Haus schlichen und zu den Tanklastern liefen. Immer wieder füllten vor allem Kinder und Jugendliche aus dem Ort ihre Kanister und brachten den Sprit nach Hause. Die meisten Familien leben von der Landwirtschaft und verdienen kaum mehr als 100 US-Dollar im Monat. Afghanistan befindet sich seit drei Jahrzehnten im Krieg. »Die Menschen sind bitterarm geworden«, weiß Popal.
Die Bombardierung der Lastzüge riss bis zu 142 Menschen in den Tod. Eine Tragödie, die auf einen Befehl des Oberst Georg Klein zurückgeht. Er forderte die Unterstützung der US-Kampfflieger, die ohne Warnung zwei 228-Kilogramm-Bomben auf die Tanklastzüge warfen. Nur zögerlich räumte das deutsche Verteidigungsministerium ein Fehlverhalten ein. Karim Popal handelte Anfang August eine Entschädigung von 5000 US-Dollar für die Familien der Hinterbliebenen aus. Für die Bundesregierung ist der Fall seitdem aufgeklärt und abgeschlossen. »Was von Seiten der Regierung getan werden kann, ist auch von der Regierung getan worden«, sagte Regierungssprecher Christoph Steegmanns.
Das Bündnis von Friedensorganisationen, das der Opfer gedachte, findet das nicht. Es war der blutigste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr, und am Jahrestag der Bombardierung schwieg die Regierung über das Leid, das sie in das Dorf Hadschi Amanullah gebracht hat. »Der Angriff hat 91 Frauen zu Witwen gemacht«, sagte Christine Buchholz, Abgeordnete der Linksfraktion im Bundestag in der Heilig-Kreuz-Kirche. Zusammen mit Jan von Aken (LINKE) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) besuchte sie im Februar die Hinterbliebenen der Getöteten. Jan von Aken berichtete von seiner Begegnung mit Nur Dschan, einem Mann, dem der Arm abgerissen wurde. Ohne Hand ist er ihm wieder an den Körper genäht worden. Er hänge wie ein loser Ast an ihm und schmerze fürchterlich, sagt er. Dschan ist ein Versehrter, der nicht mehr für seine Existenz sorgen kann.
Nur wer mitschießt, darf mitreden
In Hamburg versammelten sich am selben Tag mehr als 200 Menschen vor dem Sternschanzenbahnhof, um für den sofortigen Rückzug aller NATO-Truppen aus Afghanistan zu demonstrieren. Der Krieg dort werde nicht für die Verwirklichung von Menschenrechten und Demokratie geführt. Er diene ausschließlich der Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen des Westens, sagte ein Sprecher des Hamburger Forum für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, das zu dem Protestmarsch durch Eimsbüttel aufgerufen hatte. Die deutsche Regierung handele nach dem Motto »Nur wer mitschießt, darf auch mitreden«. Die Friedensdemonstranten forderten »Schluss mit der Militarisierung von Politik und Gesellschaft« und warnten vor einem Krieg gegen den Iran.
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