Gütiger Gauner
Mario Adorf 80
Da hilft keine Weltkarriere. Da rettet nicht, dass sich das Wuchtige, das klotzig Grobe des Kopfes und jenes vom dichten Gestrüpp der Brauen überdachte Gesichtsfinstere eines späteren Tages verwandelte – in den pfiffig-sympathischen Filou-Charme eines italotypischen Lebemannes. Nichts hilft, nichts rettet. Dieser Mann, der sich Mario Adorf nennt (Foto: dpa) bleibt ein für allemal der dumpfe Santer; er ist der hassenswerte Jäger Winnetous gewesen, und er erschoss Häuptling Intschu-tschuna. In vielen deutschen Kino-Kindheiten ein unvergessener Dämon. Und eine bezwingende Lehrstunde: Immer wieder erreicht das Böse eine erschreckende Eindringlichkeit und das Abstoßende eine Sogwirkung, ohne die das Gute nur fade, das Lautere nur lau und das Edle nur langweilig wären. Adorf schuf, in »Winnetou I«, Brice.
Ein wirklicher Theaterschauspieler ist er nie gewesen, aber einmal, als sich das Theater zum Breitwandformat entschloss, bekam er als Bühnen-Darsteller ein Funkeln. Bei Dieter Wedels Nibelungen-Festspielen vor dem Dom zu Worms spielte Mario Adorf den Hagen von Tronje, dieses mythendeutsche Inbild der plankalten Schurkerei, der rabiaten Heimtücke und des blutkühlen Mordes. Das Faszinierende trat ein: Adorf bot keine Aktion, er stand viel, er verharrte sagenhaft mutig, er ließ sich durch Handlung nicht stören – und füllte den Raum. Und er gab den Hagen als einen erregend vernünftigen Politiker, dessen Motive für Untaten und Intrigen und Untergänge dicht vernäht waren mit vernünftigster, ja innigster Staatsloyalität. Das war mitten im Sommer-Spektakel ein überzeugender Einblick in eine nahezu hochmoralische Schlitterpartie ins Abgründigste. Das Verbrechensfähige im Rationalisten: zum Erschaudern menschlich.
Mit Wedel hat er viel gearbeitet, mit Dietl, mit der Trotta, mit Schlöndorff, mit Peckinpah; er war in seinen Filmen intelligent schlitzohrig, bäurisch zupackend, hirnstutzig zuschlagend, galant blutbesudelt, er war Fettsack und Geldsack, ein Schwelger in Sein und Schein. »Der große Bellheim«, »Kir Royal«, »Die Blechtrommel«, »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«, »Rossini« – Adorf irgendwie, irgendwo zwischen Bud Spencer und Götz George und einem in den warmen Süden verkippten Jean Gabin; ein weicher Macho und faustdicker Sanftling. Großes schweres Kind und schleifharter Pate zugleich. Er hat Erzählungen geschrieben, er singt, und immer singt er so, als wolle er am liebsten wie Hans Albers singen.
Er ist Deutschland leichte Berührung mit dem Weltkino, er ist der Grundhärtespieler zum Knuddeln, aber eben leider: Er war Santer. Ein bitteres Schicksal, wie Erwin Geschonneck, der so viele treugute Plebejer spielen mochte, wie er wollte: Er war im »Kalten Herz« der grausige Holländer-Michel. Ein Schauspieler muss immer damit rechnen, so alt zu bleiben wie zu jenem Moment, da wir ihn das erste Mal sahen. Schwamm drüber. Mario Adorf, der in Zürich geborene Sohn deutsch-italienischer Eltern, wird heute achtzig.
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