Chávez zentralisiert den Staat

Margarita López Maya über Venezuelas gesellschaftliche Lage vor den Parlamentswahlen

  • Lesedauer: 4 Min.
Margarita López Maya, 59, ist Sozialhistorikerin an der Zentraluniversität in Caracas. Bei der Parlamentswahl am 26. September kandidiert sie erstmals für ein politisches Amt: Im Hauptstadtbezirk 3 strebt sie ein Direktmandat an. Mit ihr sprach in Caracas für ND Gerhard Dilger.

ND: Warum möchten Sie sich für die kleine Linkspartei PPT (Patria Para Todos, Vaterland für alle), die sich vor Monaten von Hugo Chávez getrennt hat, in Venezuelas Nationalversammlung wählen lassen?
Margarita López Maya: Man muss sich einfach engagieren, um einen Ausweg aus der gravierenden Lage zu finden, in der sich Venezuela befindet. Leider ist von dem Projekt einer partizipativen Demokratie, mit dem Präsident Chávez 1998 seine erste Wahl gewonnen hat, nicht viel übrig geblieben. 2005, 2006, als er sich stark fühlte, hat er die Richtung geändert. Seitdem setzt er auf einen zentralistischen Staat, in dem er alle Fäden in der Hand hat.

Was heißt das konkret?
Es gibt keine Gegengewichte, die staatlichen Institutionen sind zerstört. Die Wirtschaft funktioniert nicht, die verstaatlichten Betriebe sind äußerst unproduktiv. Wir sind abhängiger vom Ölpreis denn je, 2009 machte das Erdöl 93 Prozent der Exporte aus.

Chávez hat in verschiedenen Bereichen Parallelstrukturen aufbauen lassen, um den traditionell korrupten Staatsapparat zu umgehen. Keine gute Idee?
In der Tat sind die »Sozialmissionen« im Bildungs- und Gesundheitsbereich aus der Not geboren. 2003 war die wirtschaftliche Lage schrecklich, auch das Bildungswesen war nach den neoliberalen 80ern und 90ern in der Krise. Doch was als Provisorium gedacht war, hat die Regierung fortgesetzt, um die Teilnehmer politisch an sich zu binden. Es profitiert nur ein Teil der Gesellschaft, das »chavistische Volk«.

Was ist die Folge?
Eine gespaltene Gesellschaft, schlechte Qualität und hohe Kosten. Das Gesundheitswesen liegt absolut am Boden, vor allem die öffentlichen Krankenhäuser. Zwar wurden durch die »Mission Barrio Adentro« mit den kubanischen Ärzten viele arme Viertel erstmals überhaupt mit medizinischer Versorgung ausgestattet, doch viele Einheiten funktionieren inzwischen nicht mehr.

Wie sieht es im Bildungswesen aus?
Das ist sogar dreigeteilt: Wenn man mal in den Kursen der »Missionen« drin ist, kommt man da nie raus, und mit einem Abschluss an der Boliviarianischen Universität bekommst du nur einen Regierungsjob, sonst erkennt das keiner an. Die formale öffentliche Bildung wird auch immer schlechter. Und die Mittel- und Oberschicht geht an Privatschulen und dann ins Ausland.

Warum?
Die Löhne für Ärzte und andere Hochschulabgänger sind hier miserabel, die Leute wollen nach Spanien, Italien, sonst wohin, Hauptsache weg.

Was bedeutet all das für Venezuela?
Es gibt keine Räume mehr, wo sich die Gesellschaft treffen kann. Die Jugendlichen haben kaum noch Erwartungen, sich persönlich zu verwirklichen, viele werden kriminell oder drogensüchtig.

Darauf führen Sie also die hohe Kriminalität zurück?
Nicht nur. Die Gewalt hat auch sehr viel mit dem Justizsystem zu tun, das einfach nicht funktioniert, mit den extrem gewalttätigen Gefängnissen oder dem riesigen Waffenschwarzmarkt.

Sie haben die Überwindung der Polarisierung zu Ihrem großen Wahlkampfthema gemacht ...
Ja, das fängt mit der Sprache des Präsidenten an – er redet nicht von politischen Gegnern, sondern von Feinden, die liquidiert werden müssen. Doch die Kandidaten der Opposition treten heute gemäßigter auf, wenn auch mehr oder weniger ehrlich, und auch in den Medien ist der Diskurs der Entpolarisierung angekommen.

Muss Chávez mit einer Niederlage rechnen?
Nein. Zwar wächst die Unzufriedenheit, und seine Popularität sinkt. Aber die Regierung hat die Wahlgesetze meines Erachtens verfassungswidrig zu ihren Gunsten geändert. Sicher wird sie die absolute Mehrheit der 165 Sitze behalten. Wenn die Opposition und die PPT zusammen die Drei-Fünftel- oder gar die Zwei-Drittel-Mehrheit für die Regierungsparteien verhindern können, dann muss es eine Art von Dialog geben.

Nach dem Scheitern des Verfassungsreferendums im Dezember 2007 wurde Chávez eher noch kompromissloser. Warum sollte er jetzt umsteuern?
Wenn sich das Unbehagen über den Regierungskurs der letzten Jahre klar in der Stimmenverteilung und einer niedrigen Wahlbeteiligung niederschlägt, sinkt die Legitimität für den »sozialistischen« Weg. Der Präsident würde diesen Prozess vermutlich verlangsamen, bis er wieder genügend Kraft hat, aber umsteuern wird er nie.

Schlussspurt: Hugo Chávez im Wahlkampf in Barquisimeto
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