Uni-Lehre für 15 Euro die Stunde
Befristete Arbeitsverträge im akademischen Mittelbau sind die Regel
Rajah Scheepers hat eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere vorzuweisen. Ihr Studium der Religionswissenschaften hat sie mit Auszeichnung abgeschlossen, danach zwei Bücher geschrieben, bei einigen mehr war sie Mitherausgeberin. Sie hat an der Uni Erfurt geforscht, gelehrt, ihre Promotion abgeschlossen. Nebenbei hat sie noch eine Familie gegründet.
Zur Zeit arbeitet sie an ihrer Habilitation. Dennoch wird die Kirchenhistorikerin demnächst dem Wissenschaftsbetrieb möglicherweise den Rücken kehren und als Pastorin arbeiten. Sie habe es satt, sich als Akademikerin mit befristeten Arbeitsverträgen über Wasser halten zu müssen, erklärt sie. In den letzten acht Jahren habe sie sieben verschiedene Stellen an diversen deutschen Hochschulen innegehabt. Finanziell gelohnt habe sich das nicht. Zum Teil habe sie für 15 Euro die Stunde gelehrt. Die junge Wissenschaftlerin hat einmal nachgerechnet: »Inklusive Vor- und Nachbereitungszeit war das weniger als meine Kinderfrau pro Stunde erhält.«
Rajah Scheepers fällt mit ihrer Geschichte nicht aus dem Rahmen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation für den akademischen Mittelbau an Deutschlands Universitäten immer mehr verschlechtert. Auf ein unbefristetes Arbeitsverhältnis kommen mittlerweile sieben befristete Verträge, berichtet der Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, letzte Woche auf einer Wissenschaftskonferenz der Gewerkschaft im brandenburgischen Templin. Zu Beginn des Jahrzehnts betrug dieses Verhältnis noch eins zu vier. Zugenommen haben die zeitlich befristeten Beschäftigungen vor allem deshalb, weil mittlerweile 50 Prozent der Stellen ausschließlich über Drittmittel finanziert werden. »Mitte der 1990er Jahre galt es noch als unfein, sich von der Wirtschaft finanzieren zu lassen«, sagt Rajah Scheepers, »heute ist das zur Normalität geworden, eine gesicherte Grundfinanzierung gibt es kaum noch«. Für die betroffenen Wissenschaftler heißt dies im Regelfall: 40 bis 50 Stunden Arbeit pro Woche auf Teilzeitstellen für 1500 Euro brutto im Monat. Viele wissenschaftliche Mitarbeiter erhalten nicht einmal mehr Jahresverträge, auch Monatsverträge gebe es mittlerweile, berichtet Claudia Koepernik von der DoktorandInnen-Gruppe der GEW. »Viele halten der Uni dennoch die Stange, weil sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Professor stehen, der ja ihre Doktorarbeit betreut.«
Im Gegenzug zum Ausbau des wissenschaftlichen Prekariats an den Hochschulen haben sich die Professoren im zurückliegenden Jahrzehnt zunehmend aus dem universitären Lehrbetrieb verabschiedet. Laut Angaben des Instituts für Hochschulforschung in Halle kam im Jahr 2008 ein Professor auf 58 Studierende; der Wissenschaftsrat empfiehlt eine Betreuungsrelation von maximal 1 zu 40. »Die Arbeitgeber bieten den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weder verlässliche Arbeitsbedingungen noch eine berufliche Perspektive«, kritisiert Andreas Keller. In einem »Templiner Manifest« fordert die GEW die Hochschulen unter anderem dazu auf, befristete Verträge in unbefristete Festanstellungen umzuwandeln sowie den Geltungsbereich der Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes auf alle Beschäftigten in Hochschule und Forschung auszuweiten. Zu den Erstunterzeichnern des zehn Eckpunkte umfassenden Manifests zählen auch Abgeordnete und Mitarbeiter der Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei.
Angehörige der beiden Regierungsparteien, die an der Tagung ebenfalls teilnahmen, haben allerdings nicht unterschrieben. Das wundert nicht, denn regierungsoffiziell existiert das Problem unterbezahlter Wissenschaftler an den Unis, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, gar nicht. Man gehe davon aus, dass die Festanstellung von Wissenschaftlern das Normalarbeitsverhältnis an Hochschulen und Universitäten sei, zitierte Andreas Keller in Templin aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.
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