Der Heilige Vater in einem unheiligen Land
Auf Papst Benedikt XVI. wartet in Großbritannien Protest, vor allem aber Gleichgültigkeit
Genau 451 Jahre nachdem die damalige Königin Elizabeth I. im Jahr 1559 England offiziell als protestantisch ausrief, kommt am heutigen Donnerstag Papst Benedikt XVI. zum ersten Staatsbesuch eines Oberhaupts der römisch-katholischen Kirche in das Vereinigte Königreich. Sein Vorgänger Johannes Paul II. hatte Großbritannien 1982 eine sogenannte Pastoralvisite abgestattet. Benedikt wird vier Tage in Schottland und England verbringen, wo nur eine Minderheit katholisch ist: 9,6 Prozent sind es in England und Wales, 16 Prozent in Schottland.
Anders als dem Papst Wojtyla werden dem strengen Vater Ratzinger zudem kaum die Herzen zufliegen. Das ist der 83-Jährige aber mittlerweile wohl gewohnt. »Wir leben in einer anderen Zeit, und Papst Benedikt ist eben nicht Papst Johannes Paul«, sagt Monsignore Mark Langham, der im Vatikan für die Beziehungen zur anglikanischen Kirche verantwortlich ist. »Es gibt eine Reihe von Problemen und offenen Fragen.«
Tatsächlich reagierte die Church of England alles andere als erfreut, als der Vatikan abtrünnigen Gläubigen im vergangenen Oktober eine neue spirituelle Heimat versprach, denen die Reformbemühungen der Anglikaner zu weit gehen. Entsprechend kühl erwartet das Oberhaupt der Anglikaner, Rowan Williams, den Gast aus Rom: »Der Papst kommt als geschätzter Partner, und das ist es.«
Unmittelbar vor dem Besuch des Papstes bemühen sich alle Seiten nun um Entspannung. Gegner und Kritiker von Benedikt XVI. haben ihren Versuch zurückgezogen, seine Festnahme wegen der Missbrauchfälle zu erwirken. Dennoch werden vor allem am Sonnabend in London Tausende zu einer Demonstration unter dem Motto »Protest the Pope« erwartet. Organisator Peter Tarchell betont: »Unser Protest wird friedlich und gesetzeskonform sein.«
Die größte Sorge der Veranstalter ist aber das Desinteresse. Zwar sagt das Oberhaupt der katholischen Kirche in England und Wales, Vincent Nichols, der Besuch des Papstes werde »frische Energie und Inspiration« verleihen. Doch 79 Prozent der Bevölkerung erklären, »persönlich kein Interesse« an dem Gast aus Rom zu haben. Zudem meinen 77 Prozent, dass der Steuerzahler nicht für die Kosten des Besuchs aufkommen sollte. Diese werden nach aktuellen Schätzungen über 20 Millionen Pfund betragen.
Die Kirche muss etwa die Hälfte beisteuern und verlangt daher von den Gläubigen bei den Papstmessen Eintritt, »Spenden« genannt, zwischen fünf und 25 Pfund. Hinter vorgehaltener Hand heißt es dazu: »Die Entscheidung, Eintritt zu verlangen, war ein katastrophaler Fehler.« Die erwarteten Besucherzahlen werden täglich nach unten korrigiert.
Der Besuch unter dem Motto »Cor ad Cor Loquitor« (»Das Herz spricht zum Herzen«) beginnt für Papst Benedikt heute in Edinburgh, wo er mit Königin Elizabeth II. und dem Oberhaupt der katholischen Kirche in Schottland, Kardinal Keith O'Brien, zusammentrifft, ehe er in Glasgow eine Freiluftmesse lesen wird, bei der auch Susan Boyle, eine Gewinnerin der Show »Großbritannien sucht den Superstar«, singen wird. Selbst Regenschirme sind aus Sicherheitsgründen verboten.
Den Freitag verbringt der Pontifex in London und hält eine Ansprache in der Westminister Hall in Gegenwart führender britischer Politiker. Da man aber bei der Planung »übersehen« hat, dass zudem der jüdische Feiertag Jom Kippur ist, sind keine jüdischen Vertreter anwesend.
Bevor der Papst am Sonntag zum Abschluss in Birmingham die Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman vornehmen wird, spricht er am Sonnabend im Londoner Hydepark auf einer öffentlichen Abendandacht. 60 000 Menschen werden dazu erwartet – weniger, als sich dort sonst zu einem beliebigen Konzert einfinden.
Doch die katholische Kirche ist nicht nur zahlenmäßig mit rund sechs Millionen Gläubigen in Großbritannien eine Minderheitsreligion. Auch die Ausübung ist wenig aktiv: Der wöchentliche Kirchenbesuch liegt bei 800 000 Menschen, 60 Prozent der Gläubigen gehen maximal einmal im Jahr in die Kirche. Durch die Einwanderung aus Osteuropa wuchs die Zahl der Katholiken in den letzten Jahren allerdings wieder.
Oft scheint die katholische Kirche mit ihren Ansichten zu Homosexualität, Partnerschaft oder Abtreibung nicht im heutigen Großbritannien zu leben. Vor allem ist es auch in Großbritannien der Skandal um Kindesmissbrauch, der die Kirche unendlich viel Ansehen gekostet hat. Papst Benedikt wird Missbrauchsopfer zu einer privaten Audienz treffen. Margaret Kennedy von der Opfergruppe »Sexual Abuse Survivors« fordert mehr: »Während dem Papst alle Würde zuteil wird, leben viele Opfer weiter in Scham und Angst. Wir wollen daher endlich Taten für diese Opfer sehen.«
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