Braune Flocken und Bakterien
Das Öl im Golf von Mexiko wird natürlich zersetzt, doch das dürfte dauern
Das Bohrloch der explodierten Ölplattform »Deepwater Horizon« im Golf von Mexiko ist inzwischen dicht, doch das ausgeflossene Erdöl ist noch da. Die Frage ist allerdings, wie viel und wo? Seit Wochen bringt das renommierte US-Fachjournal »Science« Beiträge zur Ölkatastrophe, wegen der Aktualität als Online-Vorabveröffentlichungen. Die Konkurrenz – die britische »Nature« – begleitet das Geschehen eher journalistisch und bietet einen Blog (Netz-Tagebuch) der Golf-Expedition des US-Forschungsschiffes »R/V Oceanus« unter Leitung von Samantha B. Joye von der University of Georgia.
Während die US-Meeresbehörde NOAA kürzlich einen großen Teil des Öls für verdunstet oder abgebaut erklärt hatte, fand die »Oceanus« und das Schwesterschiff »R/V Cape Hatteras« eine beträchtliche Menge davon wieder: als treibende Ölfahnen in rund 1000 Metern Tiefe sowie als Ölflocken auf dem Meeresboden. Parallel dazu gab es Veröffentlichungen über Bakterien, die sich bereits über das in der Tiefsee treibende Öl hermachen, um es zu zerlegen.
Solche Bakterien sind im Golf von Mexiko häufig, da dort seit Jahrtausenden aus natürlichen Quellen Erdöl austritt. Allerdings besteht zwischen diesen natürlichen Prozessen und der Havarie am BP-Bohrloch ein beachtlicher Unterschied. Die Mikrobiologin Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven rechnet vor: »Aus den 1000 natürlichen Ölquellen im Golf treten pro Tag vielleicht 200 Tonnen Erdöl aus. Bei ›Deepwater Horizon‹ waren es pro Tag 10 000 Tonnen. Das ist lokal das 50 000-Fache und auf den ganzen Golf von Mexiko gerechnet das 50-Fache.«
Die Mikroben, die sich von den Bestandteilen des Erdöls ernähren, benötigen entweder Sauerstoff, oder – beim sogenannten anaeroben Abbau – Sulfatsalze. Angesichts der riesigen Ölmengen in der Tiefsee – immerhin noch rund 562 000 Tonnen – besteht die Gefahr, dass die Bakterien beim Ölabbau sämtlichen Sauerstoff in einem Meeresgebiet verbrauchen. Das wäre nicht nur unmittelbar bedrohlich für alle Lebewesen, die Sauerstoff benötigen. Die dann erfolgende Umstellung auf anaerobe Prozesse würde auch noch giftigen Schwefelwasserstoff freisetzen, der allerdings von anderen Mikroorganismen unter Sauerstoffverbrauch aufgezehrt werden kann. Deshalb wundert sich Antje Boetius auch über die Ergebnisse der Biologen des Lawrence Berkeley National Laboratory um Terry C. Hazen, wonach das Öl von Mikroorganismen verzehrt worden sei, ohne dass dabei Sauerstoff verbraucht wurde. Das verblüfft schon deshalb, weil die bekannten ölfressenden Bakterien zum Abbau eines Tröpfchens Öl (0,2 Milliliter) den Sauerstoffgehalt von 80 Litern Meerwasser benötigen.
Auch bedauert die Bremerhavener Mikrobiologin, dass bislang kaum über einen wichtigen Unterschied zu Tankerunglücken oder Ölfreisetzungen in geringen Wassertiefen geredet werde. Anders als dort entstand bei dem Unfall in der Tiefsee des Golf von Mexiko nicht zuerst ein Ölteppich, sondern eine Wolke feiner Öltropfen. Denn das austretende Erdöl enthält auch jede Menge Erdgas. Dadurch entstehen am Bohrloch Verhältnisse wie an der Düse einer Spraydose. »Die kleinen Öltröpfchen steigen dann gar nicht mehr auf, sondern treiben in der Tiefsee«, erklärt die Wissenschaftlerin. Zugleich entferne das aus den Tropfen entweichende Gas vermutlich die leichtflüchtigen Ölbestandteile. Zurück bleiben die schwereren Erdölfraktionen – die Asphalte, Teere –, die zum Meeresboden sinken. Wenn sich diese zusammenklumpen, sind sie auch für Bakterien nur noch schwer als Nahrung zu nutzen.
Ähnliche Probleme entstehen bei den Teilen des Öls, die ans Ufer geschwemmt werden. Auch hier sind durch Verdampfung die leichtflüchtigen Komponenten bereits weg, zudem wird durch den Einfluss von Sonne und Luftsauerstoff das Schweröl noch zäher. Wenn solche Teerklumpen erst einmal durch Wind und Wellengang unter Sand oder Erdreich vergraben sind, dauert der Abbau noch länger. »Unsere Mikrobiologen haben im Labor untersucht, was passiert, wenn man auf eine Sandsäule Öl kippt«, berichtet Antje Boetius. »Die Oberfläche ist nach einem Monat wieder sauber, weiter unten aber ist das Öl noch da.« Das sei auch wenig verwunderlich. Dieser Abbau brauche einfach Zeit. »Wenn ein Wal stirbt und zu Boden sinkt, findet man dessen Leichenfett noch 20 Jahre später in den Sedimenten, wenn es kompakte Fettklumpen sind.« Und Wissenschaftler, die die Küste der Halbinsel Yucatán untersuchten, fanden noch 30 Jahre nach der Havarie der mexikanischen Bohrinsel »Ixtoc I« Teerfladen auf den Felsen.
Das ist einer der Gründe, sogenannte Dispergentien über dem Öl zu versprühen. Diese Chemikalien wirken ähnlich wie ein Spülmittel, indem sie das Öl in kleine Tröpfchen zerteilen, die im Wasser leichter von den Bakterien angegriffen werden können. Diese Stoffe sind, so Boetius, zwar giftig, doch kaum mehr als das Öl selbst. Angesichts der ungeheuren Menge eingeleiteter Detergentien – zwei Drittel des Weltbestands – sei es jedoch sehr bedauerlich, dass keinerlei Untersuchungen angestellt wurden, wie sich diese Chemikalien auf die natürliche Abbauleistung der Bakterien auswirken. Das wäre eine unrühmliche Parallele zu »Ixtoc I«. Schon damals wurde die Finanzierung von Forschungen zu den ökologischen Folgen eingestellt, kaum dass die sichtbaren Schäden überwunden waren und die Fischbestände sich erholt hatten.
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