Der Fall Sakajew

Tauziehen um tschetschenischen Exilführer

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Im Exil lebende Tschetschenen haben zum Abschluss ihres »Weltkongresses« in Pultusk bei Warschau ein stärkeres Engagement internationaler Institutionen für die Beilegung der Konflikte in ihrer Heimat gefordert. Die Teilnahme von Achmed Sakajew, Chef der »Exilregierung«, hatte der um eine Verbesserung der polnisch-russischen Beziehung bemühten Warschauer Regierung einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Zwei Tage vor dem Kongress hatte Moskaus Außenminister Sergej Lawrow Polen aufgefordert, den des Terrorismus angeklagten und steckbrieflich von Interpol gesuchten Ahmed Sakajew festzunehmen und auszuliefern. Die russischen Behörden werfen ihm Mord, Entführungen, die Aufstellung einer Rebellenarmee sowie die Teilnahme am bewaffneten Aufstand vor. Premier Donald Tusk sagte am Donnerstag dazu, Polen werde die Rechtsnormen erfüllen, für die Auslieferung seien aber von der Regierung unabhängige Behörden zuständig – Staatsanwaltschaft und Gericht. Tatsächlich wurde der in diesem Jahr bereits drei Mal in Polen weilende 51-jährige tschetschenische Exilpolitiker am Freitag von der Polizei festgenommen.

Die Bezirksstaatsanwaltschaft verfügte die Überstellung an ein Gericht und beantragte 40 Tage Freiheitsentzug. Das Gericht verwies darauf, dass Sakajew seit 2003 in Großbritannien als politisch Verfolgter Asyl genieße und Polen als EU-Staat diese für die ganze Union geltende Tatsache anerkennen müsse. Wieder auf freien Fuß gesetzt, wurde der »Exilpremier« auf dem Kongress in Pultusk enthusiastisch begrüßt. Der polnische Honorarkonsul des »freien Tschetscheniens«, Adam Borowski, wertete den Gerichtsentscheid als Sieg der Demokratie und Zeichen polnischer Freiheitsliebe.

Aleksander Aleksejew, Russlands Botschafter in Warschau, wiederum reagierte am Samstag mit der Erklärung, dass der für Ende dieses Jahres angesagte Besuch des russischen Staatspräsidenten Dmitri Medwedjew »nicht sicher« sei. Aus dem polnischen Außenamt dagegen war zu erfahren, dass der Fall Sakajew »keinen Einfluss auf die polnisch-russischen Beziehungen auf höchster Ebene habe«. Stanislaw Ciosek, Ex-Botschafter in Moskau, meinte, dass »die Sache für Russland unangenehm« sei; es werde sich nun zeigen, ob die russische Bereitschaft zur Verbesserung der Beziehungen mit Polen eine »flache oder eine strategische ist«. Eine Reaktion aus Moskau werde es zweifellos geben.

In Polen ergab eine Blitzumfrage, dass 80 Prozent der Befragten gegen eine Auslieferung seien. Die Parole »freies Tschetschenien« findet weitgehende Unterstützung – nicht zuletzt, weil die Nierderschlagung des Aufstandes der kaukasischen Bergvölker unter Imam Schamil, die zur Einverleibung Tschetscheniens ins zaristische Russland führte, vom gleichen Feldmarschall kommandiert wurde, der zuvor den polnischen November-Aufstand 1831 im Blut ersticken ließ.

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