Schreiben Pharmafirmen Gesetze?
Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten kritisiert Arzneimittelgesetz
ND: Warum steigen von Jahr zu Jahr die Ausgaben für Arzneimittel?
Schulze: Das liegt in erster Linie an besonders stark steigenden Kosten für patentgeschützte Arzneimittel, die Ausgaben der Kassen sind hier allein 2009 um 15 Prozent gestiegen. Dass Arzneimittel insgesamt »nur« fünf Prozent mehr Kosten verursachten, lag an den Generika, den preiswerten Nachahmerprodukten.
Selbst Generika sind ja in Deutschland teurer als anderswo.
Das ist richtig, liegt aber auch an der besonders hohen Mehrwertsteuer in Deutschland und an der besonderen Berechnung der Apothekenaufschläge. Das Hauptproblem sind tatsächlich die neueren Arzneimittel. Hier will auch das neue Gesetz der Regierung eingreifen.
Das Gesetz wird dargestellt, als würde es die Geldgier der Pharmaindustrie stark zügeln. Tut es das?
Nein, dazu ist es viel zu schwach. So können Hersteller in den ersten zwölf Monaten das Arzneimittel zu einem frei wählbaren Preis auf den Markt bringen. Es ist zu erwarten, dass die Hersteller die Rabatte für die Krankenkassen da von vornherein aufschlagen, weil dieser Herstellerpreis dann die Grundlage für die Preisverhandlungen ist.
Warum wird das so gemacht, wenn das jeder weiß?
Das Argument der Regierung ist, dass so eine Bewertung und die Preisfindung ihre Zeit brauchen. So lange soll das Medikament schon verfügbar sein. Der VDPP meint, dass eben genau das nicht notwendig ist. Wir befürworten, neben den drei Zulassungshürden Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität des Arzneimittels, eine vierte Hürde einzuführen, den Nutzen. Wir sind dafür, dass eine erste Preisfindung möglichst vor Marktzugang durch eine Kosten-Nutzen-Bewertung erfolgt.
Warum will das Gesundheitsministerium diese Bewertung nun selbst vornehmen?
Das Ministerium soll zwar nicht die Bewertung selbst durchführen, aber es soll festlegen, wie das Wirkstoffdossier aussehen muss, das dann zur Bewertung des Arzneimittelnutzens herangezogen wird. Wir befürchten hier eine Aufweichung der streng wissenschaftlichen Methoden, die bislang angewendet wurden. Es ist ja pikanterweise herausgekommen, dass bei dem neuen Gesetz auch kräftig von der Pharmaindustrie mitgeschrieben wurde.
Das hat aber mit einer unabhängigen Arzneimittelbewertung nichts mehr zu tun.
Das ist zu befürchten. Hinzu kommt, dass die Studien, auf denen die Nutzenbewertung beruht, allein vom Hersteller selbst durchgeführt werden. Der VDPP fordert eine Bewertung anhand aller verfügbaren Studien und ein zentrales Studienregister, damit die Bewertungen transparent ablaufen können. Zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben und für eine verbesserte Arzneimitteltherapie genügt die Senkung der Preise allein allerdings nicht. Es kommt auch darauf an, was verordnet wird. Dafür ist es notwendig, die Macht der Pharmaindustrie auf allen Ebenen des Gesundheitssystems zu reduzieren.
Wie kann das geschehen?
Das betrifft beispielsweise den Einfluss der Industrie auf die Ärzte. Vertreter der Firmen versuchen, Patienten auf ihre Produkte einzustellen. Das geschieht durch Verschreibungsprämien für den Arzt, die als Studien getarnt werden, durch gesponserte Fortbildungsveranstaltungen oder auch gekaufte Experten, die ihren Namen für Industriepublikationen hergeben. Nicht zuletzt sind Horden von Pharmavertretern unterwegs. So schafft es die Pharmaindustrie, dass ca. 90 Prozent der Informationen über neue Arzneimittel, welche die Ärzte erreichen, aus der Industrie stammen.
Wie ist der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Apotheken?
Der Einfluss auf die Apotheker ist hoch, aber diese haben wenig Möglichkeiten, die Arzneimittelausgaben der GKV zu beeinflussen. Die Qualität der Versorgung leidet aber auch hier, vor allem im Bereich der nicht verschreibungspflichtigen Medikamente. Leider ist sowohl bei vielen Medizinern als auch Apothekern das Problembewusstsein in Bezug auf die Qualität ihrer Informationen nicht immer ausreichend ausgeprägt. Auch deshalb sind unabhängige, transparente Bewertungen auf hohem fachlichen Niveau und öffentlich zugängliche Studiendaten so wichtig – um allen Akteuren im Gesundheitswesen die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
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