Daumenpflicht für Migranten
Kritik an der Einführung der elektronischen Aufenthaltskarte
Digitale Identitätsnachweise sind in Deutschland schwer in Mode. Die elektronische Gesundheitskarte wird seit Jahren erprobt, der elektronische Einkommenssteuernachweis ELENA kommt im übernächsten Jahr und der elektronische Personalausweis wird noch diesen November eingeführt. Das aber ist noch nicht alles: Bis Mai 2011 soll die Bundesrepublik die elektronische Aufenthaltskarte einführen. So will es eine Vorordnung der Europäischen Union vom April 2008. Das Ziel, so die offizielle Lesart, ist die Vereinheitlichung der Aufenthaltstitel in den 27 EU-Mitgliedsstaaten. Die Karte soll helfen, illegale Einwanderung in die EU zu verhindern.
Der Nachweis ist für Staatsangehörige, die nicht aus der EU kommen, und sich in ihr aufhalten wollen, verpflichtend. Er ersetzt den Aufenthaltstitel, der bisher noch in den Pass eingeklebt wird. Auf dem scheckheftgroßen Dokument befindet sich ein Chip, auf dem zwei Fingerabdrücke sowie ein biometrisches Foto gespeichert sind. »Noch in diesem Jahr«, so ist aus dem Bundesinnenministerium zu hören, soll die »E-Aufenthaltskarte« in 19 Ausländerbehörden getestet werden. Ihre Gültigkeitsdauer soll maximal zehn Jahren betragen.
Von den rund 6,7 Millionen Ausländern, die in der Bundesrepublik leben, benötigen nach Auffassung des CSU-Innenpolitikers Hans-Peter Uhl insgesamt 4,3 Millionen »Drittstaatler« die Aufenthaltskarte. Die Einführung wird sich voraussichtlich mehrere Jahre hinziehen: Das Bundesinnenministerium rechnet mit 1,1 Millionen Nicht-EU-Bürgern jährlich, die eine Chipkarte neu beantragen oder verlängern.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl ist von den Plänen des Innenministers Thomas de Maizière (CDU) alles andere als begeistert. Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, kritisiert im Gespräch mit ND den »Datenhunger« deutscher Ministerien. Er befürchtet, dass die Zweckbindung der erhobenen Daten gelockert werden könnte und andere Behörden sie möglicherweise mitnutzen. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sprach in der »tageszeitung« von einem »Generalverdacht gegen ganze Bevölkerungsgruppen«.
Auch die Politik äußert Kritik an der Einführung der »E-Aufenthaltskarte«. Sevim Dagdelen, Sprecherin für Migrationspolitik der Linksfraktion im Bundestag, bezeichnet sie gegenüber ND als »diskriminierend« und »stigmatisierend«. Die Politikerin befürchtet eine Speicherung der Fingerabdrücke in einer Zentraldatei. »Der Überwachungsstaat mit zunehmend grundrechtseingreifenden Maßnahmen ist grundsätzlich abzulehnen«, so Dagdelen auf Nachfrage. Nach Angaben des Innenministeriums ist eine Speicherung der Fingerabdrücke im Ausländerzentralregister allerdings nicht vorgesehen. Bisher werden sie nur von Asylbewerbern beim Bundeskriminalamt zentral erfasst.
Memet Kilic, integrationspolitischer Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag, findet es »empörend«, dass nach der EU-Verordnung selbst Kinder ab dem sechsten Lebensjahr Fingerabdrücke abgeben müssen. »Können sich die Bundesbürgerinnen und -bürger so eine erkennungsdienstliche Behandlung ihrer Kinder oder Enkelkinder ab dem sechsten Lebensjahr vorstellen?«, fragt der Grüne.
Für deutsche Staatsangehörige ist optional, ob sie für den elektronischen Personalausweis einen Fingerabdruck abgeben oder nicht. Ein biometrisches Bild ist auch dort obligatorisch.
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