Viele haben uns nicht mehr geglaubt

SPD trifft sich zur Fehlerdiskussion auf Außerordentlichem Parteitag in Berlin / Michael Müller: SPD besinnt sich auf ihren Markenkern, die soziale Gerechtigkeit

  • Lesedauer: 4 Min.
Am Wochenende trifft sich die SPD zum Außerordentlichen Parteitag in der Hauptstadt. Mit Michael Müller, Partei- und Fraktionsvorsitzender in Berlin, sprachen vor Beginn Klaus Joachim Hermann und Uwe Kalbe über die Gründe, die ihn und die Seinen zu dieser »Veranstaltung außer der Reihe« treiben.
Michael Müller
Michael Müller

ND: Sie nehmen an diesem Parteitag teil, Franz Müntefering kommt nicht.
Müller: Und?

Steinbrück kommt doch auch. Steht der eine ehrlicher zu seiner Position als der andere?
Beide stehen zu ihren Positionen, und das können sie auch. Aber inhaltlich zu den Arbeitsmarktreformen, darauf wollen Sie doch hinaus: Die Reformen waren im Grundsatz richtig. Es ist jedoch auch angebracht, dass man nach einiger Zeit selbstkritisch prüft, ob alle Ziele erreicht wurden. Und es ist ehrlich einzugestehen, wenn etwas falsch läuft, und es dann zu korrigieren.

Der SPD wird vorgeworfen, sie kündige in der Opposition etwas an und mache in der Regierung etwas anderes.
Die rot-rote Regierung in Berlin setzt bereits vieles um, was in den Antragstexten zum Parteitag vorgeschlagen wird: Vergabegesetz mit Mindestlohn, Entlohnung bei Praktika, Ausweiten des öffentlichen Beschäftigungssektors. Das sind keine Worthülsen, wir machen es.

Berlin als Pilotprojekt zuerst für Rot-Rot und nun für die SPD-Strategie?
Wir haben in der Großstadt Berlin eine schwierige soziale und arbeitsmarktpolitische Situation. Ja, da hat manches, was wir machen, Pilotcharakter für das ganze Land. Auch das von der SPD regierte Brandenburg zum Beispiel folgt unserem Weg beim Öffentlichen Beschäftigungssektor und beim Vergabegesetz .

Die SPD in der Bundesregierung war nicht gerade eine Stütze bei der Förderung öffentlicher Beschäftigung.
Dinge entwickeln sich. Die gebührenfreie Kita war auf Bundesebene auch mal ein ganz dickes Brett. Und jetzt übernimmt die Bundespartei die Position von Kurt Beck in Rheinland-Pfalz und von uns Berlinern. Wir haben ebenfalls Positionen der Bundesebene übernommen. Das ist doch gut so. Auch politische Optionen können sich ändern: Vor zehn Jahren war es für viele schwer zu akzeptieren, dass es in Berlin eine rot-rote Regierung gibt.

Wäre die SPD schon wieder reif für einen Regierungswechsel?
Ja natürlich. Ich fürchte aber, dass sich Schwarz-Gelb zum nächsten Wahltermin hinüberretten will. Das wären verschenkte Jahre für unser Land.

Und Rot-Grün sehen Sie als wahrscheinliche Alternative?
Das ist für uns immer eine gute Option.

Rot-Rot-Grün im Bund ist für Sie abseits aller Kalkulation?
Ich glaube nach wie vor, dass die demokratisch gewählten Parteien im Bundestag miteinander koalitionsfähig sein müssen. Aber es muss inhaltlich passen. Es gibt noch einiges in der Linkspartei zu klären – zur außenpolitischen Rolle Deutschlands, zur Rolle der NATO, zur Verantwortung auf den Finanzmärkten. Das können wir ihr nicht abnehmen.

Derzeit hat man eher den Eindruck, als bewege sich die SPD auf die LINKE zu.
Die LINKE ist nicht unser Maßstab. Alle Parteien haben unter dem Eindruck der Krise ihre Standpunkte überprüfen müssen. Dass die SPD die Rolle des Staates stärken will, halte ich für völlig richtig. In Berlin haben wir schon 2006 in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, keine weiteren Privatisierungen kommunalen Eigentums zuzulassen und Rekommunalisierungen anzustreben, wo es Sinn macht und möglich ist.

Sehen wir am Wochenende einen Erneuerungsparteitag?
Arbeitsparteitag trifft es besser. Ich rechne es Sigmar Gabriel hoch an, dass er gesagt hat, wir nutzen diesen Parteitag für eine kritische Bestandsaufnahme.

Steht Ihrer Partei ein Ruck nach links bevor?
Wir waren und wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Das haben uns viele, auch durch die Reformpolitik, nicht mehr geglaubt. Auf diesen Markenkern besinnen wir uns. Wenn Sie das einen Ruck nach links nennen wollen, dann bitte.

Die Grünen liegen mit der SPD in Umfragen gleichauf. Ist für Sie die SPD als Juniorpartner vorstellbar?
Wir haben den Anspruch führende Regierungspartei zu bleiben. Dafür kämpfen wir.

Sind Sie optimistisch, wenn Sie an die Wahl des Landesparlamentes in einem Jahr in Berlin denken?
Sehr. Wir sind die Partei, die für den Ausgleich steht zwischen oben und unten, zwischen den unterschiedlichsten Gruppen. Fragen der sozialen Gerechtigkeit spielen hier eine besondere Rolle. Die SPD ist die richtige Partei für diese Stadt.

Mit Ihrem sozialen Anspruch sind Sie aber nicht allein, sondern müssen mit der LINKEN konkurrieren.
Oder die mit uns.

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