»Wir sollten uns nicht gewöhnen«
Protestforscher Dieter Rucht über Medien, Mainstream und die Mühe, einen Kongress zu planen
ND: Das Kongressthema »Öffentlichkeit und Demokratie« klingt wie ein aktueller Kommentar zum Atom-Geheimvertrag oder den Enthüllungen der Internetplattform Wikileaks. Dabei läuft die Vorbereitung sicher seit einem Jahr. Was hat Sie ursprünglich auf die Idee gebracht?
Rucht: Anlass war die Unzufriedenheit mit der Berichterstattung über verschiedene politische Vorgänge. Es gibt einen Mainstream in den Medien, in dem Gruppen, die eher am Rande des Geschehens stehen, nicht vordringen. Auf den ersten Blick ist alles in Ordnung: Wir haben Medien aller Couleur, verschiedene Genres, Kommentare, Radio, TV usw. Aber bei näherem Hinsehen gibt es dann eben doch Probleme.
Zum Beispiel?
Es wird viel über das Outfit der Demonstranten geschrieben, aber nicht gesagt, was sie eigentlich politisch wollen und warum sie es wollen. Viele Dinge, die in die Öffentlichkeit gehören, werden ihr entzogen. Das Zusatzabkommen zu dem sogenannten Atomkompromiss ist ja nur durch das Verplappern eines der Beteiligten bekannt geworden. Problematisch ist auch, dass in bestimmten Regionen Monopolzeitungen entstehen. Eine einzige Zeitung bestimmt, was die dortige Bevölkerung über kommunale Belange erfährt. Hinzu kommt die verdeckte Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Konzerne wie Bertelsmann oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
Das ist allerdings auch aufgedeckt worden. Man könnte denken, da ist sie doch, die kritische Öffentlichkeit.
Es kommt nur das raus, was rausgekommen ist. Will heißen: Es gibt vieles, wovon wir nichts erfahren, weil sich eben nicht irgendjemand verplappert oder genau recherchiert.
Diskussionen über die Macht von Konzernlobbyisten, Monopolisierung und Kommerzialisierung der Medien gibt es seit Langem. Sehen Sie eine neue Qualität?
Nein, das alles ist nicht neu. Aber wir gewöhnen uns an Dinge, an die wir uns keinesfalls gewöhnen sollten.
Hier setzt der Kongress an?
Unser Kongress will eine breite Bilanz ziehen. Entstanden ist die Idee bei einer Attac-Sommerakademie, wo ein Workshop zum Verhältnis von Protestgruppen und Medien angeboten wurde. Dort wurde deutlich, dass es ein Bedürfnis nach einer grundlegenden Diskussion gibt. Es geht nicht ums Lamentieren. Vielmehr soll der Kongress die Strukturen und die langfristigen Entwicklungen betrachten.
Nach Kapitalismus- und Kommunismuskongressen hatte ich bei Ihrem Titel einen Grundsatzkongress für linksliberale Demokraten vermutet. Kritischer Medienkongress trifft es aber besser, oder?
Nicht ganz. Zum einen wollen wir gemeinsam mit verschiedenen Gruppen – Freien Radios, Journalisten, Wissenschaftlern, Politaktivisten – eine kritische Bestandsaufnahme machen. Zum anderen wollen wir aber auch Initiativen anregen. So ein Kongress wälzt natürlich die Republik nicht um, aber wir hoffen doch, dass aus der Veranstaltung einige Impulse hervorgehen. Zum Beispiel, dass die Aktivisten von Stuttgart 21 auch darüber nachdenken, wie sie und ihr Anliegen öffentlich dargestellt werden.
Öffentlichkeitsberatung für Protestgruppen.
Nein, nicht nur. Der Kongress dient auch der Selbstreflexion für Journalisten und engagierte Bürger.
Sie fragen am Sonntag zum Abschluss: Was tun? Frühere Antworten wie Gegen- oder alternative Öffentlichkeit sind in ihrer Reichweite begrenzt. Haben Sie andere Ideen?
Zum Beispiel sind Institutionen nötig, die eine systematische Beobachtung der Medienlandschaft leisten. In Deutschland gab es mal einen »Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten«. Das war aus dem linken Spektrum heraus der Versuch, immer das aufzusammeln, was im Medienapparat verloren gegangen oder gar nicht eingedrungen ist. Aber das sind oft Ad hoc-Initiativen, die von wenigen Personen getragen werden. Die existieren ein paar Jahre und verschwinden dann wieder. Was fehlt, ist eine kritische Institution, die die strukturellen Defizite fortlaufend benennt oder zumindest die Einhaltung der Spielregeln stärker überwacht als das etwa die Selbstkontrolle der Medien macht, die nur bei groben Verstößen und dann auch nur sehr zahm interveniert.
Schwer vorstellbar, so eine unbestechliche Institution.
Ich kann mir eine Stiftung vorstellen. Die könnte beispielsweise Journalisten zwei, drei Jahre für Recherchen freisetzen, für die ein einziges Organ gar nicht die Kapazitäten hat.
Inwiefern sehen Sie in den Protesten gegen Stuttgart 21 oder die Atompolitik ein Indiz für eine neue kritische Öffentlichkeit?
Ich wäre da vorsichtig. Der »Spiegel« machte daraus gerade eine große Welle. Ich bin weit davon entfernt, einen großen Durchbruch oder Umbruch abzuleiten. Stuttgart ist eher ein Ausnahmefall.
Der nicht verallgemeinerbar ist?
Überhaupt nicht. Schließlich werden anderswo Dinge einfach durchgezogen. Vielerorts ist der Widerstand zu schwach, um wirklich dagegenzuhalten.
Kritik an den Medien ist ja beliebt. Wie groß ist denn bislang das Interesse an Ihrem Kongress?
Wir rechnen mit der angepeilten Größenordnung von rund 600 Leuten. Ganz zufrieden sind wir aber noch nicht und überlegen deshalb, wie wir das Interesse steigern und wie wir insbesondere Journalisten für den Kongress interessieren können. Redaktionelle Beiträge können wir ja nicht veranlassen.
Sie machen gerade selbst die Erfahrung, die Ausgangspunkt ihres Kongresses ist?
Ja. Wir sind eben keine etablierte Organisation, sondern im Kern eine Gruppe von Einzelpersonen. Für den Kongress hatten wir weder einen Euro noch ein Büro. Wir mussten erst Partner und Unterstützer finden. Es ist ein mühsames Geschäft, so einen Kongress auf die Beine zu stellen.
www.oeffentlichkeit-und-demokratie.de
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