Momentaufnahmen der Verkommenheit
Berliner Ensemble: Claus Peymann inszenierte Mark Ravenhill: »Freedom And Democrazy. I Hate You«
Ein Hammer drischt auf ein Knie. Schrei. Ein Messer geht zu einer Zunge. Schrei. Ein Oberarm blutet vom Brandmal. Schrei. Eine Detonation, dazu gleißendes Licht, als Assoziationsvehikel dafür, dass eine Bombe Menschen zerreißt. Schrei.
Fein geht es nicht zu in Mark Ravenhills Szenenfolge »Freedom And Democrazy. I Hate You«. Der britische Autor schrieb mit »Shoppen und Ficken« einen Schocker des Jahrzehnts, nun inszenierte Claus Peymann am Berliner Ensemble dessen dramatische Moment-Aufnahmen aus dem Zeitalter des Terrors, des kalkulierten Menschenopfers, des Krieges in Afghanistan und Irak. Elf Szenen, deren Titel, an die hintere Bühnenwand geworfen, meistens Kunstwerke aufrufen, etwa: Die Troerinnen. Intoleranz. Furcht und Elend. Krieg und Frieden. Paradise Lost. Vergehen und Strafe. Die Mutter. Die Odyssee.
Da ist die Publikumsansprache von Frauen, die ihr westdemokratisch umfüttertes Gutsein beschwören (»ich esse nur gutes Essen … ich entscheide mich immer für das Gute«) und die in fiebriger Aufgeregtheit nach den Gründen von Selbstmordattentaten fragen, und wie bei anderen Szenen auch schlägt der Ton, der Verstehen und Verständigung heuchelt, blitzschnell in Hassvokabular um. Wir Zuschauer sind das angeflehte, dann angepöbelte fremde »Ihr«.
Da ist dann das Kind, dem in Albträumen ein Soldat mit blutendem Halsstumpf erscheint, der einen neuen Kopf braucht – der Albtraum wird in dem Jungen einen gewehrbewaffneten Engel des Krieges im Namen abendländischer Freiheit zeugen. Da ist die Fremde (Larissa Fuchs), unter Terrorverdacht, die jede Nacht von zwei Männern gefoltert wird; und die Nachbarin (Friederike Kammer) stürzt anpasserisch aus ihren Ansätzen zur Solidarität. Da ist der US-Soldat im Kriegseinsatz (Felix Tittel), der eine muslimische Frau (Ursula Höpfner-Tabori) »befragt«, sie um Liebe bittet, sich in eine Verstümmelungsorgie steigert und am Ende die Demokratie verflucht. Weil sie ihm die Entscheidung nicht abnimmt, ob er sich erschießen soll oder nicht.
Ravenhill lieferte Schlaglichter einer Verkommenheit, Claus Peymann inszenierte das abwechselnd als Kabarett oder Miniaturdrama; ein dreistündiges Theater des sehr direkten Angriffs. Frontal und unversteckt und unverhohlen. Dies Theater lässt an die physische Aggressivität und an die neurotische Verletzungsgier in den verzweifelten Stücken einer Sarah Kane denken, oder an die bedrängend assoziativen, kalt entherzten Sprachkörper einer Elfriede Jelinek, oder an die groben Erkenntnis-Rasterungen des klassischen Lehrstückes. Es übertreibt, spitzt zu, spottet jeder Beschreibung, die nicht auf den bösen schmerzenden Punkt kommt. Es gibt Szenen von unerträglicher Brutalität, es gelingt erschütternde Tiefe, manchmal rauscht nur kostümierter Journalismus vorbei.
Das ganz normale kleine westliche Leben wird ohne Umschweife in Zusammenhang mit dem großen Schmutz der Welt gebracht. Gartencenter, Frühstücksidyll mit Biofruchtsaft, die sorglose Abgeschiedenheit in gut abgesicherten Wohnvierteln (in Botho Strauß' »Schändung« werden sie »terra secura« genannt) – der gesamte Klamauk einer protzend teilnahmslosen, ethisch arroganten Bürgerlichkeit bildet den Kern besagter Verkommenheit. Der Frieden der privaten Verfettung und Verrohung als Keimzelle eines Welt-Krieges, der die Gemaßregelten des globalisierten Konkurrenzkampfes mit Zorn aufrüstet. Der Gürtel, den diese gedemütigten Menschen enger schnallen sollen, ist aus Sprengstoff. Der Grund, den man ihnen wegreißt, liefert die Gründe für tödliche Initialzünder. Die Verteilungsgerechtigkeit, die man ihnen verwehrt, geben sie zurück: Bomben verteilen sich sehr gleichmacherisch auf Unschuldige – dies ist das einzige, das die Krieger aller Fronten vereint.
Peymanns Schauspieler im weiten, fast leeren, nur mit wenigen Requisiten bezeichneten Raum (Bühne: Johannes Schütz): Spürbar der Ernst und die Lust auf satirische Schärfe wie auf brennend brüllende Töne. Herausragend Christian Grashof und Martin Seifert als altes Schwulen-Paar: Der eine hat Krebs, und die ihn fressende Sterbensangst verwandelt ihn in einen hässlichen Missgönner und Hasser alles Lebens, und sei es das von Kindern – Seifert und Grashof spielen eine berührende Beziehung zwischen nagender Hilflosigkeit, durchsickerndem Verzagen und einem ausbrechenden Gefühlsgeschwür aus blinder Zerstörungswut. Swetlana Schönfeld in der Rolle einer verwahrlosten Mutter, der zwei Militärs die Nachricht überbringen vom Soldatentod ihres Sohnes, draußen im Krieg gegen den Terror: eine Matrone, eine Kreatur der Fastfood-Kultur, die zwischen aufgedrehter Komödie und drohendem Zusammenbruch Verhinderung betreibt: Sie will nicht hören, was sie doch schon weiß. Grandios Corinna Kirchhoff im Monolog einer Oberklassenlady; das Glanzbild des Familiären von ätzender Glätte (»ich lese keine Zeitung, schaue keine Nachrichten«); die Kirchhoff taucht sich ins Pastell fiesester Schönheit und gefährlicher Dummheit (»Juden sind Menschen ... wissen Sie«); es ist, als zöge sich diese Schauspielerin ein Gesicht des schwitzenden Elends über ihre pergamentbleiche Maske des Elitären.
Theaterabende, lässt man sie in sich ein, hinterlassen zwei Möglichkeiten: Versenkung oder Gespräch. Peymanns Inszenierung ist Gesprächsstoff. Über den Zusammenhang von Angst und Aggressivität. Dem Versuch am BE ist dabei auch Trauer anzumerken. Trauer darüber, dass der Zorn über den beschriebenen Zustand der Welt höchstens noch wie eine vergessene Sehnsucht durch die westliche Gegenwart geistert.
Die letzte Szene: Zu den Soldaten in freiheitbringender, muslimerziehender Mission gesellen sich Künstler, eine kleine Garde der malenden, tanzenden, schreibenden, installierenden Selbstbespiegler, die ebenfalls ins befreite Dritte-Welt-Land einfällt. Witzfiguren des Ideenexports vom Ich-IchIch. Traurige Spaßvögel des Therapeutischen, die das Publikum – ehe sie »Penner«-Rufe gegen die »Eingeborenen« spucken – mit Seelenretter-Säuseln darum bitten, sich in die entsprechenden Kurs-Listen einzuschreiben.
Ein Zuschauer tut's tatsächlich. Jetzt ist alles nicht mehr bitter witzig, sondern nur noch lustig. Aber das ist zugleich das letzte Stückchen Wahrheit, das der Abend mitgibt: Am lautesten wird dort gelacht, wo etwas überhaupt nicht lustig ist. Theater eben. Traurig. Aber wahr. Das ist manchmal viel.
Nächste Vorstellung: 6.10.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.