Lehrer, Hilfsgärtner, Redakteur
Er wollte nicht an die Urne gehen. Dafür wurde er zur Arbeit auf einem Friedhof verdonnert. Burkhard Baltzer, heute verantwortlicher Redakteur des ver.di-Magazins »Kunst+Kultur«, erduldete in der DDR fünf Jahre Repressionsgeschichte. Die Wende, die er bereits im Westen erlebte, bedeutete für den 57-jährigen Autor »ein unfassbares Wunder, dass erstarrte, hochgerüstete Unvernunft friedlich die Waffen streckt«.
Seine ganz persönliche Wende hatte bereits 1980 angefangen. Burkhard Baltzer, damals Oberschullehrer, beschwerte sich über Missstände in der Verwaltung seines Stadtviertels in Ost-Berlin: Wenn sich nicht endlich etwas ändere, würden er und seine Nachbarn der anstehenden Kommunalwahl fernbleiben. Gesagt, getan. »Kurz darauf teilte man mir mit, dass ich als Lehrer untragbar sei«, erinnert sich der gebürtige Magdeburger.
Beruflich kalt gestellt, ging Baltzer auf die Suche nach einem Broterwerb. Er durfte immerhin Hörspiele für den Rundfunk schreiben. Aber auch dort lauerte die Zensur: »Zu existenzialistisch!«, hörte er zuletzt als Begründung für die Ablehnung eines Manuskripts.
1981 wurde ihm auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee eine Anstellung als Hilfsgärtner angeboten. Neben der Pflege ganzer Abteilungen mit 20 000 Gräbern – die wenigen Angestellten nannten sich scherzhaft Abteilungsleiter – standen pro Woche zwei bis drei Bestattungen an. »Wir behandelten die Toten nach dem Ritus, schaufelten ihre Gräber, reparierten Grabsteine.«
Beerdigen wollte er nach drei Jahren auch seine DDR-Staatsangehörigkeit. Er stellte mehr als 20 Ausreiseanträge. Vergeblich. 1985 halfen einflussreiche westdeutsche Politiker, und alles ging ganz schnell: Baltzer konnte mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Westberlin übersiedeln.
Seine berufliche Odyssee ging aber weiter. Baltzers DDR-Lehrerabschluss wurde im Westen nicht anerkannt. Er machte das zweite Staatsexamen. Dann schrieb er für westdeutsche Verlage und Medien, für die er schon zu DDR-Zeiten unter Pseudonymen gearbeitet hatte. Schließlich wurde er Musikredakteur der Saarbrücker Zeitung. Heute lebt er in Tübingen.
Vom Fall der Mauer erfuhr er auf der Autobahn: »Das kann nicht wahr sein!«, dachte er. »Ich hatte wahnsinnige Angst, dass dasselbe geschehen könnte wie Monate zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking.«
Bis heute ist er enttäuscht »von der politisch-wirtschaftlichen Kaste und darüber, wie sie den Einigungsprozess gesteuert hat«. Aber verbittert ist er nicht. »Mich hat diese ›Wende‹ zum Glück nicht zerstört wie andere Oppositionelle.« Als er seine Stasi-Akte einsehen konnte, war er erleichtert: »Ich hatte keine Laus im Pelz – kein Gefährte hatte mich verraten.«
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