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Sultan von Paris
LEÏLA MAROUANE: Mit Witz über ein ernstes Thema
Das größte Problem für Mohamed Ben Mokhtar ist seine Mutter. Mit vierzig hat er sich immer noch nicht getraut, sie zu verlassen und von zu Hause auszuziehen. Dabei ist er ein sogenannter »Integrationserfolg« und bewegt sich in der französischen Gesellschaft wie ein Franzose. Nach einem Eins-A-Abitur und -Studienabschluss hatte er keine Probleme, einen guten Job zu finden. Schon lange hätte er unabhängig von der Familie leben können.
Aber dann mietet er sich eines Tages doch noch eine Wohnung in Paris. Und zwar dort, wo die Bobos wohnen, die »Bourgeois-Bohemien«, die mit dem Geld. Und träumt davon, in dieser Wohnung eine Frau nach der anderen zu vernaschen. Hier liegt nämlich das zweite große Problem des Helden und Erzählers aus Leïla Marouanes Roman »Das Sexleben eines Islamisten in Paris«: Mohamed Ben Mokhtar ist noch »Jungfrau«. Wobei seine Mutter diesem Problem gern ein Ende bereitet hätte: Die Eltern der 22-jährigen Bürgermeistertochter aus dem Heimatdorf in Algerien wären mit einer Heirat einverstanden gewesen.
Doch das kommt für Mohamed nicht in Frage. Er, der ehemalige Islamist, hat sich gelöst von Religion und Tradition, will endlich frei und unabhängig sein. Die Sache mit der Wohnung geht auch klar. Die Maklerin scheint nicht bemerkt zu haben, dass er aus Algerien stammt. Als Araber hätte er sein »kleines Versailles«, wie er sagt, nie bekommen. Ganz einfach war die Täuschung über seine Herkunft allerdings nicht. Den neuen Namen hatte er sich ja schon länger zugelegt («Basile Tocquard«), aber die Haut musste noch mit einer Creme aufgehellt und das krause Haar geglättet werden.
Weniger klar geht es dann mit den Frauen. Die meisten, die er kennenlernt, kommen wie er aus dem Süden. Zwar sind sie gesprächig, ja, das sind sie. Sie erzählen ihm ihre komplette Lebens- und Leidensgeschichte. Aber im Bett wird es dann immer schwierig. Entweder sie wollen bis zur Heirat Jungfrau bleiben oder sie sind bereits schwanger und fürchten um die Gesundheit des ungeborenen Kindes. Einer sind gar nur seine Boxershorts wichtig – für ihre Sammlung. Mit keiner ist er länger zusammen, auch wenn er immerhin einmal zum Geburtstag eingeladen wird. Am Ende hat er zwar viele Geschichten über Probleme von nordafrikanischen Frauen in Frankreich gehört, ist seinem Ziel aber kaum näher gekommen.
Und da gibt es ja noch seine Mutter. Regelmäßig ruft sie an, mahnt, zum Essen nach Hause zu kommen und ein guter Muslim zu sein. Sein Bruder, dessen Vorbild er einst war und den er zum Islamisten gemacht hat, nervt ihn mit seiner aggressiven Moral. Irgendwie wird ihm dann auch noch seine Geschichte, die er regelmäßig aufschreibt, um sie als Buch zu veröffentlichen, gestohlen. Eine Autorin taucht auf und behauptet, nicht er, sondern sie habe den Text geschrieben. Zum Schlafen braucht der »Sultan von Paris« dann immer mehr Whisky und Tabletten.
Leïla Marouane, die selbst aus Algerien stammt und seit 1990 in Frankreich lebt, erzählt die Geschichte von Mohamed Ben Mokhtar mit viel Witz und Ironie. Die Botschaft des Textes beeinträchtig das nicht, im Gegenteil, sie wird umso deutlicher. Trotz erfolgreicher Integration bleibt ihr Anti-Held Gefangener seiner migrantischen Herkunft, seiner Familie und der Umstände in Frankreich, wo der Rassismus in den letzten Jahrzehnten nicht verschwunden ist, sondern sich nur verändert hat. »An Stelle des biologischen Rassismus«, zitiert Marouane Frantz Fanon als Motto des Buches, »ist ein kultureller Rassismus getreten. Stigmatisiert werden nicht länger die Hautfarbe oder die Form der Nase, sondern eine bestimmte Art zu leben.«
Leïla Marouane: Das Sexleben eines Islamisten in Paris. Roman. A.d. Franz. v. Marlene Frucht. Edition Nautilus. 224 S., geb., 18,90 €.
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