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Es geht auch anders

SOZIALSTAAT

  • Jukka Tarkka
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit 30 Jahren wird dem deutschen Michel weisgemacht, dass er über seine Verhältnisse lebt und die Sozial- und Rentensysteme »reformiert« werden müssen, damit die Wirtschaft wachsen kann. So tönt es von den sogenannten »Wirtschaftsweisen« im Namen der hehren Wissenschaft, unverblümter von Seiten der Wirtschaftsverbände, und so hat bisher jede Regierung seit 1990 ihr Scherflein zur Schleifung des Sozialstaates beigetragen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die Zahl der offiziell Armen hat sich in dieser Zeit verdreifacht, Renten sind nicht armutsfest und in den letzten Jahren sogar real gesunken, die Langzeitarbeitslosigkeit ist stabil auf hohem Niveau.

Nun gut, könnte man meinen: das ist halt typisch Turbo-Kapitalismus und Globalisierung. Richtig, aber das ist nur die halbe Wahrheit, wie die eben erschienene Studie über das skandinavische Modell von Andreas Oppacher nachweist. Diese vergleichende Analyse der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- und Rentensysteme von Dänemark, Schweden, Finnland und der Bundesrepublik bietet erstmalig im deutschen Sprachraum einen kompakten Überblick über Kaufkraftentwicklung, Rentenhöhe und -sicherheit, Langzeitarbeitslosigkeit, Steuer- und Beschäftigungspolitik, Armuts- und Reichtumsverteilung und den öffentlichen Beschäftigungssektor. Wie schon bei den PISA-Studien zu Bildung und Ausbildung schneidet die Bundesrepublik auch auf diesen Feldern im Vergleich zu Skandinavien deutlich schlecht ab.

Der Autor arbeitet mit den Zahlen der EU-Statistikbehörde (Eurostat), der OECD und der nationalen Ämter und stützt sich auf zahlreiche Spezialuntersuchungen in den jeweiligen Ländern. Herausgekommen ist ein auch für Laien sehr lesbares mit zahlreichen grafischen Darstellungen angereichertes Buch.

Oppacher zeichnet dabei keineswegs das Bild eines glücklichen »Volksheims«, sondern macht deutlich, dass im Zuge der Globalisierung auch die Sozialsysteme in Skandinavien unter Druck geraten sind, die Ungleichheit zunimmt und z. B. das Steueraufkommen aus Unternehmensgewinnen im Vergleich zu anderen Steuerarten sinkt. Aber bei allen untersuchten Feldern zeigt sich, dass die skandinavischen Länder trotz gleicher weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen bisher jedenfalls nicht den Weg der bundesdeutschen Politik beschreiten, der auf Verarmung sowie Ausschluss von sozialer Teilhabe von gut 20 Prozent der Bevölkerung setzt, um damit auch die Löhne der noch arbeitenden Menschen unter immer stärkeren Druck zu setzen.

Der Autor belegt, dass staatliches Handeln, das auf sozialen Ausgleich ausgerichtet ist, große Wachstumspotenziale freisetzt, und kritisiert die einseitige Ausrichtung der Berliner Politik auf die Stützung der Exportwirtschaft, anstatt wie in Skandinavien den Binnenmarkt als gleichrangig zu behandeln. Oppacher ist sicherlich kein Linker, man kann seinen Ansatz natürlich auch prinzipiell kritisieren, da er den Kapitalismus als solchen nicht in Frage stellt, aber eines zeigt seine Studie ganz deutlich: Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus. Seine klar herausgearbeiteten Fakten zur wesentlich besseren Lage der Lohnabhängigen in Skandinavien kann und sollte man als Linker indes in den gegenwärtigen (Abwehr-)kämpfen gegen die Kopfpauschale bei der Krankenversicherung, für einen Mindestlohn von zehn Euro, gegen Minijobs und Leiharbeit sowie gegen Hartz IV auf dem argumentativen Ticket haben.

Andreas Oppacher: Deutschland und das Skandinavische Modell. Der Sozialstaat als Wohlstandsmotor. Pahl-Rugenstein. 144 S., br., 14,90 €.

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