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Ein mutiges Paar

ADLIGE VERSCHWÖRER GEGEN HITLER

  • Günther Frieß
  • Lesedauer: 3 Min.

In ihrem neuen Buch beleuchtet die Politikerin und Publizistin Antje Vollmer ein nahezu vergessenes Kapitel der Verschwörungsgeschichte gegen Adolf Hitler und das NS-Regime. In einer bewegenden und faszinierenden Doppelbiografie zeichnet sie das Leben zweier junger Adeliger aus Ostpreußen nach, die ebenso erschütternde wie tragische Geschichte des Scheiterns von Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop.

Die Autorin stützt sich auf eine Fülle von bislang unerschlossener Quellen, darunter Aufzeichnungen und Interviews, Beschreibungen von Freunden und Verwandten sowie unbekanntes Fotomaterial. Im Vorwort kritisiert sie das mangelnde Interesse der Deutschen nach 1945 am deutschen Widerstand. Es habe nie die Intensität erreicht, die der Person des Diktators galt. »Das war so in den beiden Nachkriegsstaaten, das hat sich auch mit der deutschen Einheit nicht geändert.« Zudem sei das Wissen um diesen Teil der Geschichte im Bewusstsein der meisten Deutschen nie fester Teil der eigenen Identität geworden.

In der Bundesrepublik setzte erst in den 60er Jahren, mit der Studentenbewegung, ein drängendes Verlangen ein, Zeugnisse des Widerstands aufzuarbeiten, »von dem man bis dahin nicht einmal gewusst hatte« – vom frühen Widerstand der Kommunisten und Sozialdemokraten über die »Rote Kapelle« bis zum Attentatsversuch des Tischlers Georg Elser in München. Dabei geriet aber der eher konservativ geprägte Widerstand der Verschwörer des »20. Juli«, des Hitlerattentats von 1944, in den Hintergrund. Vollmer weist den von 68ern erhobenen Vorwurf zurück, die Militärs, Adeligen und Konservativen hätten in reaktionärer und nationalistischer Manier zu spät und aus Eigennutz gehandelt.

Doch, zur eigentlichen Geschichte: Im Oktober 1941 verübte eine SS-Einheit in Borissow ein Massaker an 7000 Juden. Unfreiwilliger Beobachter ist Heinrich Graf von Lehndorff, Oberleutnant und Ordonanzoffizier in Hitlers Hauptquartier »Wolfsschanze«. Nach diesem Erlebnis fasst Lehndorff zwei weitreichende Entschlüsse: Er schließt sich der Gruppe von Verschwörern um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg an; fortan fungiert er als Kurier. Zugleich trifft er die »Entscheidung zu einem »perfekt getarnten Doppelleben«. Seit 1941 residiert im linken Flügel seines Schlosses »Gut Groß Steinort« Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop. Das Schloß liegt in der Nähe der »Wolfschanze«. Hier finden regelmäßig Besprechungen zwischen hohen Diplomaten und Offizieren statt, an denen auch Heinrich von Lehndorff teilnimmt. Seine Frau Gottliebe verwaltet das Gut und sorgt für Tarnung und Schutz ihres Ehemannes.

Nach dem missglückten Attentat wurde Heinrich von Lehndorff vom »Volksgerichtshof« zum Tode verurteilt und am 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Antje Vollmer ist zu danken, zwei fast vergessenen Widerstandskämpfern gegen die Nazi-Barbarei ein würdiges Denkmal gesetzt zu haben.

Antje Vollmer. Doppelleben. Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop. Eichborn. 416 S., geb., 24,90 €.

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