Wasser trinken und brennen

Martin Walsers »Ein liebender Mann« auf der Bühne in Meiningen

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit seinem Roman »Der liebende Mann« hat Martin Walser aus der Zuneigungspein eines Dreiundsiebzigjährigen gegenüber einer Neunzehnjährigen eine wunderbare leichte Tragödie gemacht. Was da funkelt, ist etwas, das landläufigem Regelwerk nach gar nicht strahlen, glänzen, glühen darf. Diese Unbeholfenheit des Menschen. Diese Art, wie einer sich überspreizt im Willen, ganz unschuldig und ganz natürlich zu sein. Es ist unangenehm, wenn ein alter Mann eine sehr junge Frau liebt? Unangenehm ist für Außenstehende der Preis, den jede Liebe fordert: unbedingt die Contenance zu verlieren. Ein alter Mensch und keine Contenance. Lächerlich. Contenance kehrt bekanntlich zurück, wenn aus Liebe Bündnis wurde. Vorher darf sie nicht sein. Vorher gilt nur, sich lächerlich zu machen. Unterm Regime der Lächerlichkeit leiden wir ständig. Der Liebende freilich erklärt sein Leiden zur schönsten Freiwilligkeit. Das steigert die Liebe und die Lächerlichkeit auch.

Walser hat einen Roman darüber geschrieben, wie Goethe, der Witwer, 1823 in Marienbad auf Ulrike von Levetzow trifft. Man trinkt heilendes Wasser und brennt doch unheilbar. Walser erfasst sehr genau historische Atmosphären, aber er hat doch so haarscharf wie haarfein am historisch Verbürgten vorbeigeschrieben. Ein Gegenwartsroman. Eine Immergrün-Erzählung in den launischen Wettern des Lebensherbstes. Ein Trotzbuch, dem auch Tränen in den Augen stehen. Ein Buch über die Wärme im Schein untergehender Sonnen. Walser tanzt – während sein Goethe vor der Geliebten altersgemäß hinstürzt und um den berüchtigten Oberschenkelhals bangen muss – durch die Vergänglichkeitsnot des Menschen, der immer wieder versucht, sich mit der Illusion des Geliebtwerdens über die eigene unansehnliche Verwitterung hinwegzuhoffen.

Aus dem Roman hat Martin Walser nun ein Bühnen-Stück herausgeschrieben. Ein Auftragswerk für das Südthüringische Staatstheater Meiningen. Als Dramatiker gibt es den Dichter Walser längst nicht mehr. Aber Weimars Großschriftsteller kam schon mal vor, auch Stadelmann, dessen Diener, der hier als Art Conferencier, als Augenzwinkerer hin zum Publikum, durchs Stück führt – das war in den Szenen aus dem 19. Jahrhundert, 1984, »In Goethes Hand«. Inszeniert hat für die Kammerspiele Ansgar Haag, im Bühnenbild von Bernd Dieter Müller. Es ist ein Weiß mit aufklappbaren Spiegelwänden, die Bilder von Salon und lieblicher Gegend hereinwerfen.

»Bis er sie sah, hatte sie ihn schon gesehen. Als sein Blick sie erreichte, war ihr Blick schon auf ihn gerichtet.« Romanbeginn, Stückbeginn. Der Zauber ist angeschlagen im Ton dieser zwei Sätze. Ohne Umschweife gesagt: Das Theater vermag diesen Zauber nur bedingt zu vermitteln. Es ist verurteilt zu einer gewissen Handfestigkeit, die dem Poetischen nicht voll entsprechen kann. Es drängt nach außen. Es ist lauter, als es vielleicht selber will. Geworden ist der Abend trotzdem. Walsers Goethe ist in seinen Nöten universell und gründlich, und wenn die Not bei ihrem Weg in den Kopf letztlich doch nicht höher steigt als bis zum Herz und dort weh tut, dann entsteht schöne Literatur. Die merkt man dem Abend auf jeden Fall an. Gewinn.

Josephine Fabian ist eine bildschöne Ulrike, wache, souveräne Genießerin einer unwirklichen Situation. Sie hinterlässt, wo sie vorbeischwirrt, gewöhnliche Leute, die diesem Wesen nur Spalier sind. Ob nun Mutter, Schwester oder Grafen. Peter Bernhardts Goethe hat Kraft zum Mittelpunkt, im Laufe seiner Erschütterungen dreingen die leiseren Töne durch, das Durchschmerzte, hier wäre an weiterer Zurücknahme lohnend zu arbeiten. Freilich gibt die Polternatur dem Ganzen einen angenemhen Stich Ironie. Als hätte sich Goethe in den geschmeidg spreizenden Hans-Joachim Kulenkampff verwandelt, und Renatus Scheibe als Stadelmann in einen beflissen fügsamen Eddi Arent.

Wenn Goethe und Ulrike zusammen sind, ach, nur reine Konversation, dann erzählt die Szene:

Zustimmung bei einem Menschen zu finden, das ist schon die Erfüllung des Traums, die ganze Welt stimme einem zu. So verhält man sich dann zur Welt und bemerkt nicht, wie einen die anderen so seltsam ansehen. Die Welt ist nämlich anders eingerichtet, sie wirft dich auf den Boden der Tatsache: dass ein alter Mann ein alter Mann und eine sehr junge Frau eine sehr junge Frau sei. Und dazwischen gibt's nichts, was das Dazwischen auflöse. Sophie Lochmann spielt die Schwiegertochter Goethes, Ottilie, und kerbt in die elegischen Abläufe, vom Krankenbett aus, ein heftig-hysterisches Wüten gegen den Altersgeilen

Die Liebe findet nicht zum Ziel, aber sie lässt sich freilich auch nicht belehren. Von Lebensphase zu Lebensphase nur immer weiter ins Gebrechliche, Wirkungslose zu fallen, das stoppt doch unsere Fantasie nicht. Das ist da zu sehen, bei Goethe, beim Kostümball, in den Straßenszenen.

Der Abend endet als Briefroman. Die Wände der Bühne werden aufgeklappt, wie man ein Kuvert öffnet. Links das Zimmer Ulrikes, rechts das von Goethe. Er sagt, was er schreiben wird, sie sagt, was er geschrieben hat. Die Marienbader Elegie: ein Postwurf, und wenn man den Dichter und das Mädchen so hört, steigt unwillkürlich die Frage auf, ob Briefträger eigentlich ahnen, was sie da mitunter bei sich tragen, was sie mit ihrem Transport zwischen Menschen stiften, wie sie doch unwissende Schicksalsboten sind. Jetzt ist Goethe ganz Schmerz, der ihn altersgerecht müde macht, und Ulrike ist auch Schmerz, aber junger Schmerz. Das ist Schmerz zum Leben hin.

Bernhardts Goethe erfährt am Schluss noch einmal Aura-Anschub. Weil jeder Mensch Aura gewinnt, der seine Illusionen verliert. Goethe wehrt sich dagegen. Er will nicht weise werden. Denn weise wäre am alten Mann, dass er das Kind in sich am Leben erhält, den Jüngling aber sterben lässt. Dieser Mann bleibt, was er nicht leben darf: liebend. Auch wenn Ulrike, in Weimar auf der Durchreise, ihn nicht mal besucht ...


ULRIKE (Josephine Fabian):
Wir haben öfter über das Küssen gesprochen als dass wir uns geküsst haben.

GOETHE (Peter Bernhardt):
Die Seele ist ein Organ. Tut weh wie die Nieren. Die Zähne.

Nächste Vorstellung: 8., 10. und 29. Oktober

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.