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Aufklärer
Hagen Rether erhält den Deutschen Kabarettpreis: Er habe Kabarett am Klavier neu erfunden
Wer Aufklärer ist, wird schnell im Ruf stehen, ein zu ernstes Gesicht zu haben. Und das stimmt. Aufklärung ist nämlich oft ein Missverständnis: Es tritt auf als Volkes Erziehung. Ich Lehrer, du Schüler. Du also dumm. So entstand landläufig das, was man Führung nennt. Später dann wird das Volk von neuen Führern darüber aufgeklärt, dass die vorherige Führung dumm war. Das Volk glaubt's wieder. Immer belehren die Dummen die Dummen, das nennt man Deutschland. Deshalb hat Deutschland, aus Notwehr, gute Kabarettisten. Gute und böse. Die Bösen sind besser als die guten. Hagen Rether ist von denen einer der Besten. Alles klar?
Er sitzt am Klavier, langes gezopftes Haar, ein bisschen Michel Friedman vortäuschend. Fies, der Bursche. Auf dem Klavier liegen Bananen, oder mal ein Baseballschläger – er bekennt sich zu deutschen Werten. Er hat neben Georg Schramm konsequent wie keiner jenes erwähnte ernste Gesicht zum äußeren Zeichen eines inneren Zorns erhoben, der diesem Kabarettisten im Grunde alle Lust getötet hat, lustig, witzig, unterhaltsam zu sein. Er sagt harte Wahrheiten, er sagt sie hart, oder ganz sanft, und das ist natürlich – o Krux der Kunst – äußerst unterhaltsam.
Rether, 1969 in Bukarest geboren und in Hermannstadt aufgewachsen, Sohn deutschstämmiger siebenbürgischer Eltern, lebt seit 1973 in Deutschland. Nach einiger Zeit in Freiburg (Breisgau) zog er nach Essen, wo er an der Folkwang-Hochschule studierte. Bevor er eigene Tourneen startete war er Pianist des Kabarettisten Ludger Stratmann.
»Liebe« heißt sein Programm, das er im Prinzip stets »nur« variiert. In diesem »nur« liegt die ganze Kunst. Rether – jetzt muss wieder von Aufklärung geredet werden – täuscht das Publikum gern, indem er es in seine Wahrheiten einbezieht. Um dann schlagartig zu sagen: Du bist selber Teil der Katastrophe! So wird Aufklärung aus einer Methode, den Moralauftrag zu delegieren, zur Selbstprüfung des Zuschauers. Rether schaut ernst. Es ist der Ernst der Hoffnung: Eines Tages wird der Deutsche gut – er isst Baseballschläger und haut anderen nur mit der Banane auf den Kopf. Jetzt lächelt Rether. Für die tausend Jahre, die das dauert, hat er noch Zeit und Ideen.
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