Mehr Ökosteuern für ein gutes Leben?
Wachstumsskeptiker fordern neue Indikatoren für Ressourcenverbrauch und Wohlstand
Die meisten Ökonomen und Unternehmer können es nicht fassen: Volkswirtschaft oder Betriebe sollen nicht mehr wachsen, und es geht den Menschen trotzdem gut? Das kann nicht sein, das ist unmöglich. Auch aus dem Publikum der Berliner Veranstaltung waren solche Töne zu vernehmen. Wenn die Alternative aber in massiven Wirtschafts- und Finanzkrisen besteht, in Umweltkatastrophen und dem Versiegen der Rohstoffquellen? Angesichts solcher Szenarien, auf die viele Entwicklungen hindeuten, scheint ein Umdenken einfacher.
Wachstumsskepsis und -kritik sind neuerdings schon bis in westliche Regierungskreise hinein enttabuisiert. Einer der bekanntesten Vertreter dieser Richtung ist Tim Jackson. Der britische Hochschullehrer und Regierungsberater forscht in den Bereichen nachhaltiger Konsum und Umweltökonomie. Für die britische Kommission für nachhaltige Entwicklung verfasste er 2009 den Bericht »Wohlstand ohne Wachstum«.
Der bisherige Weg, eine Gesellschaft wachsen zu lassen, so Jackson in Berlin, war die Akkumulation von Kapital. Das führte allerdings zu Finanz- und Ökologiekrisen. Wachstum habe es nur durch die Ausbeutung der Ressourcen der Erde und der Arbeitskräfte gegeben. Ein neues Verständnis von Wachstum dürfe aber nicht nur die »Betriebsamkeit« der Wirtschaft messen, sondern auch, inwieweit menschliche Bedürfnisse befriedigt werden oder wie gerecht Waren und Dienstleistungen verteilt sind. Es gehe um neue Indikatoren wie Bildung, Gesundheit und Lebensqualität. In einem solchen Bilanzierungssystem müsste der Verbrauch ökologischer Ressourcen stärker bewertet werden. Bereits in der Vergangenheit gab es theoretische Ansätze, den Ressourcenverbrauch stärker, die Arbeit geringer zu besteuern.
Der Forscher verwies auf Innovationen, die zwar die Arbeitsproduktivität steigern, aber das System auch instabil machen. Erhöhte Produktivität spart Arbeitskräfte ein und führt zu Arbeitslosigkeit, neue Produkte lassen ihre Vorgänger auf dem Müll landen, auch wenn die alten Telefone oder Autos noch funktionstüchtig sind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei die Idee langfristiger Investitionen wieder zu beleben. Werde weiter so gewirtschaftet wie bisher, würden nicht nur die Ressourcen immer knapper und die Gesellschaften instabiler, so Jackson, sondern auch die Grundlagen des Wirtschaftens selbst völlig ausgehöhlt.
Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung erklärte, dass eine Wirtschaft mit grünen Technologien und geringem Kohlendioxid-Ausstoß nicht ausreiche. Verändert werden müssten auch Ernährungs- und Konsumgewohnheiten. »Es geht nicht nur um Effizienz und Miniaturisierung, sondern wir dürfen auch nicht auf Kosten anderer Länder gut leben«. Die anstehenden Aufgaben fasste sie so zusammen: »Wir müssen teilen, abrüsten, weniger produzieren und konsumieren.« Während sie dabei die Politik als unverzichtbar ansah, gabe es im Publikum Zweifel daran, ob Parteien überhaupt an ernsthaften Änderungen interessiert und nicht nur im Zyklus der Wahlkämpfe und damit notwendiger Kompromisse gefangen seien. Diesen Eindruck musste Tim Jackson bestätigen. Er habe mit Basisbewegungen, Wissenschaftlern, Investoren und Unternehmern diskutiert. Am schwierigsten waren die Gespräche mit den Regierungsbeamten.
Tim Jacksons Buch »Wohlstand ohne Wachstum« soll im Frühjahr 2011 erscheinen.
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