Der Traum vom Laufen

USA: Erstmals wurde querschnittsgelähmter Patient mit embryonalen Stammzellen behandelt

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Vielleicht ist Jesus bald überflüssig. Lahme zum Laufen zu bringen, Blinde zum Sehen ... das alles geht in Zukunft vielleicht auch ohne Wunder. So zumindest sieht die US-amerikanische Biotech-Firma Geron die schöne neue Welt. Das Unternehmen hat in der vergangenen Woche weltweit erstmals in einem spektakulären Versuch einen querschnittsgelähmten Patienten mit abgewandelten embyronalen Stammzellen behandelt. Der Patient, über den man nichts Genaues erfährt, soll nach Angaben der Firma erst seit Kurzem querschnittsgelähmt sein. Bei dem Versuch sollen beschädigte Nervenzellen durch Injektion ausdifferenzierter Stammzellen regeneriert werden. Dazu verändert man embryonale Stammzellen so, dass sie im Körper des Patienten nur noch zu Nervenzellen reifen können. Durch diese Ausdifferenzierung will auch das Krebsrisiko minimieren, das bei embryonalen Stammzellen im Tierversuch beobachtet wurde.

Ob die abgewandelten Zellen jedoch zu den gewünschten Zellen werden, steht noch in den Sternen. »Es handelt sich immer noch um früheste Grundlagenforschung. Was den Erfolg angeht, bin ich sehr skeptisch«, so Ingrid Schneider, Expertin für Technologiefolgenabschätzung an der Uni Hamburg gegenüber ND. Die Firma selbst hält sich mit Aussagen ebenfalls zurück. »In die Zukunft gerichtete Aussagen, ob das Verfahren generell zugelassen wird oder es zur allgemeinen Anwendung kommt, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht treffen«, so Anna Krassowska von Geron.

Und so heißt es jetzt erstmal, einige Monate auf Ergebnisse zu warten. Nur – ob ein eventueller Therapieerfolg dann wirklich auf die injizierten Zellen zurückzuführen sein wird, ist ungewiss. Gerade im Anfangsstadium einer Querschnittlähmung kommt es manchmal auch zu spontanen Verbesserungen. Es geht eher um den spektakulären Erstversuch als um wissenschaftlich fundierte Ergebnisse.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hatte Geron bereits Anfang 2009 als erster US-Firma Tests mit embryonalen Stammzellen genehmigt. Nachdem sich im Tierversuch immer wieder Geschwülste bildeten, stoppte die FDA den Versuch am Menschen wieder. Erst nach weiteren erfolgreichen Tests genehmigte sie im Juli die erste Anwendung am Menschen. Es wurde für die Biotech-Firma auch höchste Eisenbahn. Denn in den USA werden Versuche mit embryonalen Stammzellen nicht staatlich gefördert, sondern liegen in der Hand privater Investoren. Zwar will Präsident Barack Obama diese Regelung der Bush-Regierung ändern, ein endgültiges Gerichtsurteil steht jedoch noch aus. Und so sind Firmen wie Geron auf Erfolge angewiesen. Bereits vor zehn Jahren hatte die 1992 mit Risiko-Kapital privater Finanzinvestoren gegründete Firma verkündet, einen Heilversuch am Menschen zu wagen. Die Investoren wurden zunehmend ungeduldiger, da die Firma 31 Millionen Dollar Verluste jedes Jahr schreibt. »Es geht nicht um die Heilung von Patienten, sondern um Patente und Aktienkurse«, so Erika Feyerabend, Redakteurin der Zeitschrift BioSkop.

Bei der Stammzellforschung ist ein weiterer Bereich hochproblematisch: die Quelle der embyronalen Zellen. In der Regel stammen sie von überzähligen Embryonen bei künstlichen Befruchtungen. Susanne Schultz vom Gen-ethischen Netzwerk hat an einem Beispiel im südkalifornischen La Jolla jedoch nachgewiesen, dass sich in den USA eine unheilvolle Symbiose herausbildet. In einem Gebäudekomplex sind dort nebeneinander eine Reproduktionsklinik, eine Eizell-Agentur und ein Biotech-Unternehmen untergebracht. Die Biotech-Firma Stemagen zählt zu den führenden Klonforschungslaboren der Welt. Ihre Eizellen bezieht sie – von nebenan. Der medizinische Leiter Samuel Wood lobte denn auch den »nahtlosen Übergang zwischen dem Fruchtbarkeitszentrum und dem Stammzelllabor«. In Europa gibt es ähnliche Tendenzen. Sowohl in Osteuropa als auch in Spanien schießen die Fruchtbarkeitskliniken wie Pilze aus dem Boden. Begründet werden die Eizellspenden mit dem unerfüllten Kinderwunsch von Paaren, die nur durch eine fremde Eizelle zum Kind gelangen können. Die überzähligen Zellen sind ein begehrtes Objekt der Forscher. Das Risiko der Spenderfrauen, die oft eine finanzielle Aufwandsentschädigung erhalten, ist indes enorm. »Es handelt sich dabei um einen intensiven medizinischen Eingriff: Von der Hormonstimulierung bis zur Gewinnung der Eizellen. Es sind schon ernsthafte Komplikationen aufgetreten«, warnt Ingrid Schneider.

Sollte der Therapieversuch in den USA erfolgreich sein, würde dies zu einem Run auf Eizellen führen. Das Horrorszenario von Frauen, die aufgrund einer finanziellen Notlage Eizellen verkaufen würden, könnte dann Realität werden. Bleibt zu hoffen, dass alternative Forschungsansätze die embryonalen Stammzellen überflüssig werden lassen. Denn auch erwachsene, adulte Stammzellen lassen sich umprogrammieren. Und künstlich verjüngte Hautzellen – sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) – könnten in Zukunft ebenfalls eine Alternative darstellen. Ob die Branche jedoch jemals, wie versprochen, ernsthafte Krankheiten heilen kann, bleibt heftig umstritten. Noch gibt es nur Hoffnung und Versprechungen – einen Erfolg konnte noch keine Firma vorweisen. Geron kümmert das nicht. Die Firma kündigt auf ihrer Homepage großspurig an, ein neues Kapitel in der medizinischen Therapie aufzuschlagen. Eines, das »jenseits von Pillen eine neue Ebene der Heilung erreicht«. Schön wär's!

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