Rechte »Tea Party« bringt Präsident Obama in Bedrängnis

Ultrakonservative Protestbewegung in den USA hat die Republikaner gekapert und setzt die Demokraten unter Druck

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 8 Min.

Für die Demokratische Partei in den USA, die seit vier Jahren den Kongress und mit der Wahl Barack Obamas seit 2009 auch das Weiße Haus kontrolliert, wird es bei den Zwischenwahlen am 2. November eng. Ein Grund: die Mobilisierungserfolge der ultrarechten »Tea Party«-Bewegung, die die Republikaner kapert und die Demokraten unter Druck setzt. Oder haben die Obama-Hasser ihren Zenit bereits überschritten? Eine bloße »Teekannen-Bewegung« (Tea Kettle Movement) sei diese »Tea Party«, weniger bedeutend, als ihr zugeschrieben werde, wie der »New York Times«-Kolumnist Thomas Friedman unlängst betonte. Sie sei zwar »authentisch« und könne die Wahlen durchaus beeinflussen. Letztlich aber lasse sie wie eine Teekanne nur Dampf ab. Die Zukunft des Landes werde sie mit ihren Forderungen nach Steuerkürzungen und dem Schrumpfen von Regierungsfunktionen nicht in die richtige Richtung lenken. Zu platt, zu widersprüchlich und ideologisch nur für eine Minderheit am rechten Rand attraktiv sei die Bewegung. Die eigentliche Mehrheit Amerikas, die »wirklich wichtige Tea Party«, reiche von Republikanern der Mitte über Unabhängige bis zu Demokraten der Mitte.

Die »Tea Party« macht tatsächlich Dampf. Und der verpufft nicht, wie Friedman suggeriert, sondern treibt die Parteien und die Politik an. Die »Washington Post« etwa hat den Ultrarechten bescheinigt, vor den Zwischenwahlen zum Kongress landesweit wie ein wohl funktionierender Dampfkessel zu wirken. Unbestritten stellen sie die derzeit mit Abstand größte politische und lebendigste Massenbewegung der USA dar. Aber so rebellisch und »anti-establishment« sie sich gegen die Regierung, gegen die Demokraten und auch gegen die meisten Republikaner geben mag – der Wahlkampf und mit ihm die Verlockungen von Geld und Macht zwingen einen Teil der Aktivisten letztlich zum Pragmatismus der Realpolitik. Die Stichworte lauten dabei Geldbeschaffung und Annäherung, ja Umarmung von Republikanern.

Die Bewegung hat im Spätsommer ein gutes Dutzend sensationeller Siege bei parteiinternen Vorwahlen über sich sicher im Sattel wähnende Republikaner-Granden erzielt, etwa im Ministaat Delaware und in Alaska – was ihren Bekanntheitsgrad erhöhte und die Spendierfreudigkeit reicher Konservativer befeuerte. Zehntausende von »Tea Baggers«, die sich in Hunderten von Ortsgruppen zusammengetan haben, erfuhren weiteren finanziellen wie personellen Zuwachs.

»Fox News« als Sprachrohr

Inzwischen allerdings werden innerhalb der »Tea Party« Stimmen laut, die den Verlust des rebellischen Impetus bemängeln. Die Orientierung nur auf die Wahlen am 2. November wirke zerstörerisch, heißt es. Statt eine Bewegung zu bleiben, drohe man, zu einer unbeweglichen Manövriermasse, zu »Big Tea«, zu verkommen.

Die ersten Aktivitäten einzelner »Tea Parties« fallen in die Zeit um die Amtseinweihung des neuen Präsidenten Barack Obama im Februar 2009, meist bei Protesten gegen die »Bailouts« von Großkonzernen (Schulden- oder Haftungsübernahme und Tilgung durch Dritte, insbesondere durch staatliche Institutionen im Fall einer Wirtschafts- oder Finanzkrise) und den »Sozialismus« der neuen Regierung. Erstmals große Beachtung und damit US-weite Verbreitung fand beim rechten Murdoch-Fernsehsender »Fox News« ein Protest des Wirtschaftsjournalisten Rick Santelli direkt vom Chicagoer Börsenparkett. Statt zu berichten, attackierte Santelli im Fernsehen live wutentbrannt Regierungspläne, hoch verschuldeten Hausbesitzern, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, unter die Arme zu greifen. Santelli bezeichnete Obamas Vorhaben als »subsidizing the losers« (Subventionierung der Verlierer) und schlug seinen Kollegen, den Wertpapierhändlern, eine Tea Party im Michigan-See vor, in dem sie Derivate versenken wollten.

Das historische Vorbild Boston

»Fox News« und seine Frontleute wie Glenn Beck griffen das Ereignis gierig auf und berichteten darüber. Gleichzeitig führten sie damit auch den Begriff »Tea Party« vor einem Millionenpublikum in die aktuelle politische Debatte ein. Er war bis dahin nur im Geschichtsunterricht anzutreffen. 1773 gab es die historischen Bostoner Tea Party, ein patriotischer Steuerprotest der amerikanischen Siedler gegen die erdrückende Steuerpolitik der britischen Kolonialmacht.

»Uns reicht es, wir wollen unser Land und unsere Freiheit zurück«, heißt es heute, »der Staat ist zu mächtig, die Steuern sind zu hoch.« Obama gilt den Ultrakonservativen als »Sozialist, Landesverräter und Dieb des Volksvermögens«, mal Hitler, mal Stalin, mal Muslim, mal kein gebürtiger Amerikaner, oft eine Mischung aus allen. Aber nicht nur auf den Präsidenten hat sich die rechte Meute eingeschossen, es geht ebenso gegen »die« Demokraten, »die« Wall Street, »korrupte« Republikaner, gegen staatliche Sozialprogramme wie Medicare und Medicaid, gegen den »von Eliten aufgeblähten Staat«. Soziologisch gesehen stammen die Anhänger und Aktivisten der »Tea Party« aus allen gesellschaftlichen Schichten, mit Ausnahme von Minderheiten wie Juden, Afroamerikaner und Latinos. Die Bewegung ist weiß, christlich und rekrutiert sich, gemessen am Einkommen, eher aus der oberen Mittelschicht. Keineswegs handelt es sich, was das Fußvolk angeht, um ein reines Phänomen der Arbeiterklasse.

Die beiden am meisten zentralisierten Frontorganisationen der ansonsten dezentralen Gruppierungen der »Tea Party« heißen »Freedom Works« und »Tea Party Express«. Erstere setzt sich vor allem für niedrigere Steuern ein, vergleichbar mit dem bekannteren konservativen Thinktank »Cato Institute«, das allerdings auf einem intellektuell höheren Niveau agiert. Die Interessengruppe wird von dem Ökonom und Blogger Matt Kibbe geleitet. Finanziert wird »Freedom Works« von dem rechtskonservativen Milliardär David Koch.

Der Journalistin Jane Mayer von der Zeitschrift »New Yorker« ist es zu verdanken, dass im September das Scheinwerferlicht auf zwei hinter den Kulissen agierende Brüder geworfen wurde: Charles und David Koch. Beide haben von ihrem Vater Milliarden geerbt und sind die Hauptgeldgeber der »Tea Party«. 1967 hat Fred Koch seinen Söhnen die Ölfirma »Koch Industries« sowie bis zum Bersten gefüllte Konten hinterlassen. Charles und David Koch bauten die ursprüngliche Firma zu einem noch größeren Konglomerat aus. Sie übernahmen Raffinerien und Pipelines in anderen US-amerikanischen Bundesstaaten und stiegen in den Handel mit Holz ein. »Koch Industries« steht in den USA heute auch auf Pappbechern, Badeanzügen und Düngemitteln. Der Konzern ist im Lande nach »Walmart« das zweitgrößte Unternehmen im Privatbesitz. Das geschätzte gemeinsame Vermögen der Koch-Brüder beträgt etwa 35 Milliarden Dollar, übertroffen nur von Bill und Melinda Gates sowie von Warren Buffett.

Der neue Rechtsruck in den USA werde von den Kochs maßgeblich finanziert, wie der »New Yorker« ausführlich darlegte. Über viele Jahre überzogen die Kochs die USA mit einem wachsenden Netz von Stiftungen, Denkfabriken und rechten Bloggern. Ihr Mantra: eine »radikal freie Marktwirtschaft«, das heißt die Zurückdrängung jeglicher staatlicher Regulation. Im Vordergrund: auf jeden Fall die Verschärfung der Klimagesetzgebung verhindern, die Träume von einer »grünen Revolution« platzen lassen, totaler Kapitalismus. »Amerika steht der größte Verlust von Freiheit und Wohlstand seit den 1930er Jahren bevor«, warnte Charles Koch laut »New Yorker« im Sommer in einem Firmen-Rundbrief.

Die Investitionen der Kochs in die »Graswurzel«-Bewegung namens »Tea Party« haben sich offenbar gelohnt, ihr ideologischer Marktfundamentalismus wurde und wird von Zehntausenden, die eigentlich darunter zu leiden haben, lautstark auf der Straße gefordert. Steuererleichterungen für Reiche und Superreiche – davon würden auch die vom »Obama-Sozialismus« bedrohten Mittelschichten profitieren, so lautet der auf Adam Smith zurückgehende, immer wieder propagierte Trickle-Down-Effekt, wonach Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand der Reichen angeblich nach und nach in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern. Als Transformationsriemen dienen die Medien des Murdoch-Konzerns, allen voran das beliebteste US-Fernseh-Network »Fox News«. In ihm lassen sich allabendlich die rechten »Talking Heads« wie Glenn Beck aus.

Neuer Wein in alten Schläuchen

Als »neuer Wein in alten Schläuchen« bezeichnete die linksliberale Zeitschrift »Mother Jones« (MoJo) das Phänomen »Tea Party«. Die These des Magazins: Wenn ein Demokrat Präsident wird, formieren sich seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwangsläufig rechtsaußen aktionistische Gegenbewegungen, die dann die etablierten Republikaner unter Druck setzen. Als Belege und Vorgänger werden Aufstieg und Fall der »Americans Liberty League« gegen die staatlichen Sozialprogramme Roosevelts, die »John Birch Society« gegen John F. Kennedy und das »Arkansas Project« sowie das »Talk Radio« gegen William Clinton genannt. Gemeinsam sei den ultrarechten Gegenbewegungen die Besessenheit, mit der die US-amerikanische Verfassung wie ein Gebetsbuch studiert werde. Daneben macht MoJo bei den Ultras eine nostalgische Bewertung »des alten Amerikas, wie wir es noch kennen« aus.

Kampf gegen Obamas »Sozialismus«

Dazu gesellt sich die Unterscheidung in ein »hart arbeitendes Amerika« auf der einen und den »Parasiten« auf der anderen Seite. Vorrangig sei allen rechten Anti-Establishment-Bewegungen die Auffassung, die Washingtoner Bundesregierung habe eine »sozialistische Agenda« und setze auf die Abschaffung der individuellen Freiheiten. Der Staat werde, so die Lesart, zum Tyrannen. Außerdem verbinde die rechten Bewegungen historisch gesehen der »unstillbare Appetit auf Verschwörungstheorien«. Und nicht zuletzt sei ein gemeinsamer Nenner der abschätzige Blick auf die »arbeitsfaule« Unterschicht.

»Amerika rückt nach rechts«, heißt es sicherlich zurecht angesichts der Schwäche der Linken und Linksliberalen im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis der USA. Obama hat seine eigenen Unterstützer, die über »Facebook« wie im richtigen Leben, etwa als Wahlkampfhelfer vor Ort, organisiert waren, demobilisiert. Nach dem Abschalten der realen Bewegung – von Gegnern wie Anhängern »Obamas Army« genannt – erfolgte, bis heute, der Schwenk in die Mitte und nach rechts. Und nur dort existiert derzeit eine Graswurzelbewegung. Ihre Zukunft hängt nach den Wahlen von den Granden der Republikaner-Partei und den ihr nahestehenden Geldgebern ab. An ihren Widersprüchen selbst wird sie wohl nicht zerfallen.

Der Journalist und Buchautor Max Böhnel lebt in New York und ist langjähriger Mitarbeiter des »Neuen Deutschland«.

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