Obamas Mission impossible

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Der verfrühten Prahlerei von George W. Bush über den Sieg im Irak-Krieg (»Mission accomplished«) steht heute die Mission impossible seines Nachfolgers gegenüber. Eine Mission ohne Erfolg, in Kriegen draußen ebenso wenig wie an der Heimatfront.

Die Wut vieler US-Amerikaner auf Barack Obama (49) ist mehr und mehr ihr Frust über Amerika. Frust über das, was schief läuft »in America«, wie sie die USA nennen. Der Frust über die für US-Verhältnisse hohe Arbeitslosigkeit, die trotz eines Konjunkturprogramms von fast einer Billion Dollar nicht sinkt. Der Frust über ihre Weltmacht, auf deren Produkte vielerorts keiner mehr wartet, während neue Weltmächte Amerikas Schuldscheine verwalten. Es ist der Ärger über Kriege, die kein Amerikaner mehr erklären kann, jedoch immer mehr kosten – Menschen, Material und Geld. Geld, das daheim für verrottende Highways, verfallende Bahnhöfe und Schulen fehlt und bei vielen den Eindruck verfestigt, nicht im ersten Land des Westens, sondern einem Land der Dritten Welt zu Hause zu sein.

Kann man Amerikanern solche Gefühle verübeln? Nein. Ein Land, so reich an Ressourcen, sollte in der Lage sein, seine Bürger gesundheitlich zu versichern und den Alten einen entwürdigenden Lebensabend zu ersparen. Es sollte fähig sein, eine Kindersterblichkeitsrate zu sichern, die niedriger ist als in Kuba und eine Lebenserwartung höher als in Bosnien. Dass dies nicht mehr selbstverständlich ist, hat mit Entwicklungen zu tun, die die Leistung des Präsidenten überstrahlen.

Kurz vor den Parlamentswahlen in drei Tagen steht der erste schwarze Präsident in der Hälfte seiner ersten Amtszeit und als gerupftes Huhn da. Die Rechten von den Republikanern und den eigenen Demokraten ziehen Obama in den Schmutz, die Linken nennen ihn Versager oder Verräter, und die Mitte, die mit den Rändern nichts zu tun, aber Fragen beantwortet haben will wie: Ist mein Job heute sicherer, mein Haus weniger bedroht, meine Gesundheitsversorgung erschwinglicher?, sie beantwortet sich die Fragen eher verneinend – und macht den Präsidenten haftbar. Das ist nicht immer gerecht, aber auch nicht immer falsch, weil er an seinen geweckten Hoffnungen gemessen wird.

Als Obama, ein Mann von Intellekt, aus einfachen Verhältnissen und von sozialer Empathie, Präsidentschaftskandidat der Demokraten geworden war, verkündete er umjubelt, die USA würden eines Tages »zurückschauen und unseren Kindern erzählen können: Dies war der Moment, als wir anfingen, für die Kranken zu sorgen und Arbeitslosen gute Jobs zu verschaffen; dies war der Moment, als sich der Anstieg der Meere verlangsamte und unser Planet zu gesunden begann; dies war der Moment, als wir einen Krieg beendeten und unserem Land Sicherheit gaben und das Bild Amerikas als letzter, bester Hoffnung auf Erden wiederherstellten«.

Wichtiges wurde erreicht, etwa die unter großen Wehen geborene Gesundheitsreform, die in den nächsten zehn Jahren 30 Millionen Bürger erstmals krankenversichern soll. Doch vieles ist unerledigt und vom Verdacht umweht, gar nicht versucht zu werden: In Afghanistan hat Obama die Truppen verdreifacht. Statt die Großbanken, die den Crash verursachten, an die Kandare zu nehmen, stehen die heute fetter als zuvor da. Der Generalinspekteur des Finanzministeriums, Neil Barofsky, erklärt im Untersuchungsbericht: »Es fällt schwer zu erkennen, dass auch nur eines der grundlegenden Probleme behoben worden wäre. Wir fahren die selbe kurvenreiche alpine Straße runter – nur diesmal in einem schnelleren Wagen.«

Martin Luther King (1929-1968) erinnert in einem seiner Bücher an das einzige Mal, da er bei einem Auftritt ausgebuht wurde – von Anhängern der Black-Power-Bewegung. King: »Wenn die Hoffnung schwindet, kehrt sich der Hass oft besonders bitter gegen jene, die Hoffnung geweckt haben.« Obama ist nicht King, doch seine jetzige Erfahrung teilt die des Bürgerrechtlers. Er teilt mit ihm das Erlebnis, was geschieht, wenn Ziele, Strategien und Verbündete unfähig sind, jene Resultate hervorzubringen, die die Rhetorik verkündet hatte.

An diesem Punkt muss man Obama einen Moment in Schutz nehmen und an die Korruptheit des politischen Systems erinnern. Sie ist im Vorgehen der Republikaner und der von großem Geld inszenierten Basisbewegung Tea Party, der Großkonzerne und Hochfinanz gegen Obama zu beobachten. Auch Obama hat von Wall Street jenes Geld erhalten, ohne die kein Politiker in den USA erfolgreich handeln kann. Gerade in dieser legalisierten Bestechung besteht das Korrupte. Großkonzerne und -banken spenden routinemäßig Kandidaten beider Seiten. Goldman Sachs, um ein Beispiel zu nennen, finanzierte 2008 sowohl Obama als auch dessen Gegner John McCain. Die Großbank stellte damit lediglich sicher: Wer immer am Ende Präsident wird, er wird Goldman Sachs verpflichtet sein.

Wie demütigend dieses System nicht zuletzt für jene sein kann, die wie Obama »einen Wandel herbeiführen« wollten, »dem man trauen kann«, erlebt der Präsident. Andererseits: Obama hat Wandlungswillen, jedoch weder revolutionäre Absichten noch die Kraft zum Systemwechsel mitgebracht. Damit hat er eine größere Mission impossible (versuchter Systemwechsel) gegen eine kleinere Mission impossible (unversuchter, aber behaupteter Systemwechsel) eingetauscht – und sich statt der »Kühnheit der Hoffnung« (so der Titel seines zweiten Buchs) die Bürde der Enttäuschung eingehandelt.

Das kommt vor im politischen Alltag. Es ist sogar die Regel. Solche Nüchternheit hilft weiter als eine wie immer geartete, gerade mit Barack Obama verbundene Romantisierung, ja märchenhafte Erhöhung seiner Person. Obama ist kein Martin Luther King und keine Angela Davis, so fragwürdig und wirklichkeitsfremd die Überhebung auch dieser Persönlichkeiten im Hinblick auf ihren tatsächlichen Spielraum in den USA bisweilen war.

Gegenwärtig fällt die Enttäuschung zusammen mit dem schrittweisen Niedergang der Weltmacht. Amerikas Kriege beschleunigen ihn, sind aber nicht ihr einziger Ausdruck. Der norwegische Sozialwissenschaftler Johan Galtung erklärte vor Jahren in einem ND-Interview mit Jochen Reinert, die Tage des US-Imperiums in der Welt »sind gezählt. 2020 wird das Imperium am Ende sein«.

Darüber kann man streiten, aber dass die USA angezählt sind, ist sicher. Das spüren viele Amerikaner und trägt bei zum erstmals sichtbaren Verlust an Optimismus als Amerikas nationaler Grundmelodie. Amerikaner verströmen nicht länger die Zuversicht ihrer Mondlandungs-Siege, vielmehr die Gewissheit einer nationalen wie wirtschaftlichen Gebrechlichkeit. Auch das kriegt Obama zu spüren, zumal er in den Augen vieler Gegner der ideale Sündenbock ist: liberal, mitfühlend, unsicher, ob er überhaupt Christ, aber sicher, dass er schwarz ist.
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