Tag der Mahnung im Stuttgarter Rathaus
Stuttgart 21-Schlichter Heiner Geißler: »Mappus Weg«-Rufe auf Demonstrationen »passen nicht in unser Klima«
Bevor am Freitag das zweite Stuttgarter Bahnhofsstreitgespräch beginnen konnte, gab es eine Menge Ärger. Aus Sicht der Projektgegner hatte die Bahn am Donnerstagnachmittag gegen die für die Zeit der Schlichtung vereinbarte »Friedenspflicht« verstoßen, als am Südflügel des Hauptbahnhofes Betonteile angeliefert wurden, die für das Grundwassermanagement im Zusammenhang mit den Tunnelbauten nötig sind. Daraufhin hatte Gangolf Stocker, Stadtrat der Fraktionsgemeinschaft aus SÖS (»Stuttgart Ökologisch und Sozial) und Linkspartei sowie Frontmann des Bündnisses »Leben in Stuttgart« sogar mit einem Abbruch der Gespräche gedroht (ND berichtete).
Dazu kam es dann doch nicht – stattdessen wurde vereinbart, dass diese Arbeiten bis zum nächsten Donnerstag abgeschlossen sein sollen. Volker Kefer, der Technikvorstand der Bahn, bestreitet zudem, sich mit den Arbeiten am Südflügel außerhalb der Friedenspflicht zu bewegen. Es würden derzeit nur Betonwinkel angebracht, dies seien notwendige Voraussetzungen für das Auffüllen und Verdichten des Unterbodens, ein Arbeitsschritt, der ausdrücklich in den Schlichtungsgesprächen für zulässig erklärt worden sei. Und in Richtung der Projektgegner sagte Kefer, diese sollten sich künftig nicht in der Presse beklagen, sondern auf die Bahn selbst »zugehen«.
Auch Schlichter Heiner Geißler sah sich gestern zu Ermahnungen gedrängt. »Die Rufe ›Mappus weg, Mappus tot‹ passen nicht unser Klima«, sagte der einstige CDU-Generalsekretär. Wann und wo genau »Mappus tot« gerufen worden sein soll, blieb indes sein Geheimnis. Freilich ermahnte Geißler auch die Befürworterseite, die sich in Gestalt von Baden-Württembergs Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) über Sitzblockaden auf Demonstrationen beklagt hatte – auch dies verstoße gegen die »Friedenspflicht«.
Lange beschäftigten sich die Diskutanten mit der Leistungsfähigkeit des geplanten Bahnhofes – eine Frage, die bereits in der ersten Sitzung am vergangenen Freitag umstritten gewesen war. Südwest-Wirtschaftsminister Ernst Pfisterer (FDP) wartete dabei mit einer Folie auf, nach der der Bahnhof »17 Millionen Pkw-Kilometer« auf die Schiene verlagern würde.
Für die Gegner rechnete Tübingens Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer vor, dass dies gerade mal 0,5 Prozent der jährlichen Autokilometer entspreche – und wesentlich einfacher zu erreichen sei, etwa mit zusätzlichen Zügen. Auch die 500 Millionen Euro jährliche Wertschöpfung, die sich die Landesregierung vom Projekt verspricht, beeindruckten Palmer nicht: »Das sind 0,2 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung« im Ländle, sagte Palmer – da sei es unseriös, die »wirtschaftliche Zukunft« des ganzen Bundeslandes damit zu verbinden.
Pünktlich zur zweiten Verhandlungsrunde war in der Stuttgarter Zeitung eine große Anzeige erschienen, die eben dies behauptete: »Stuttgart 21 ist Baden-Württemberg 21«. Heiner Geißler baute den Befürwortern an dieser Stelle eine Brücke: Es gehe ja auch um Investitionen, die folgen könnten, wenn die Investoren sähen, dass im Südwesten solche Projekte ermöglicht werden würden. Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) nickte dankbar bei dieser Hilfestellung.
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