König Orbán schleift die Demokratie

Ungarn: Fidesz beschneidet Kompetenzen von Verfassungsgericht / Diskussion um Monarchie

  • Gábor Kerényi, Budapest
  • Lesedauer: 4 Min.
Ungarns Rechtsregierung und ihre Parlamentsmehrheit zerstören im Eiltempo jegliche demokratische Strukturen im Land. Nun wird sogar über die Wiederherstellung des Königreichs gesprochen.

Ein in der demokratiepolitisch ohnehin nicht unbedenklichen Geschichte des Ungarnlandes einmaliger Schritt ereignete sich am vergangenen Dienstag. Die das Land mit überwältigender parlamentarischer Mehrheit beherrschende national-klerikale Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten) mit dem machtbesessenen Viktor Orbán als Parteichef und Ministerpräsidenten an der Spitze hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es ihr um unbegrenzte Alleinherrschaft geht. Deshalb hat Fidesz alle unabhängigen Kontrollmechanismen und -institutionen und damit alle Bremswerke und Gleichgewichte eines jeden demokratischen Staates lahmgelegt. Hinzu kommt die unmittelbar nach der Erringung der Zweidrittelmehrheit im April dieses Jahres begonnene Totalablösung der Amtsträger des ganzen Landes, vom Rechnungshof bis zum Staatspräsidenten, von der Wahl- bis zur Treuhandbehörde und selbstverständlich im Justizwesen. Ebenso wurde die Medienlandschaft umgewälzt und unter staatliche Kontrolle gestellt. Dies kann jeder bestätigen, der auch nur eine einzige Nachrichtensendung in einem ungarischen Fernseh- oder Radiosender verfolgt.

Denselben Zwecken sollte auch die gleichfalls erfolgte sofortige Umgestaltung des Verfassungsgerichts zu einer Institution mit Fidesz-treuer Mehrheit dienen. Doch dann ereignete sich ein Wunder.

Zur Vorgeschichte dieses Wunders gehört, dass Fidesz, um alle wichtigen und unwichtigen Posten für sich zu ergattern, tausende gültige Verträge annullieren musste. Dies geschah damit, dass das Parlament ein Gesetz verabschiedete, nach dem alle Bediensteten der öffentlichen Hand fristlos und ohne Begründung entlassen werden dürfen. Außerdem fallen seitdem Abfindungszahlungen ab einer bestimmten Höhe unter einen Steuersatz von 98 Prozent, und zwar rückwirkend ab Jahresbeginn 2010, obwohl Fidesz erst im Mai an die Macht gekommen war. Doch am Dienstagvormittag entschieden die Fidesz eigentlich treu ergebenen Verfassungsrichter, dass die herrschende Partei damit ein bisschen zu weit gegangen sei. Einstimmig kippten sie das Gesetz zum 98-prozentigen Steuersatz für Abfindungen.

Doch das Wunder war von kurzer Dauer. Die Mannschaft von Ministerpräsident Orbán zögerte nicht einmal ein paar Stunden. In den Mittagsnachrichten wurde nicht etwa verkündet, welches Ersatzgesetz sie zu verfassen gedenke, sondern vielmehr, dass die Befugnisse des Verfassungsgerichtshofes ab sofort beschnitten werden müssen; die entsprechende Gesetzesvorlage war schon um drei Uhr am Nachmittag eingereicht. In dieser heißt es, dass der Verfassungsgerichtshof ab sofort in Angelegenheiten, über die keine Volksabstimmung abgehalten werden dürfen, ebenfalls über kein Entscheidungsrecht mehr verfügt. Dazu gehören in Ungarn wie in anderen Länder auch alle Angelegenheiten, die den Staatshaushalt berühren. Um ganz sicher zu gehen, beschneidet das neue Gesetz auch gleich die Liste jener Themen, über die eine Volksabstimmung abgehalten werden darf. Fidesz-Fraktionsführer János Lázár lapidar und eindeutig zu der noch am Dienstag beschlossenen Schnellneuregelung: »Wenn das Volk über eine Frage nicht entscheiden darf, so hat dazu auch der Verfassungsgerichtshof kein Recht. Dies wird in der Zukunft ein sehr wichtiger Grundsatz sein. Allein das Parlament, der Hüter der Souveränität, darf über das Geld der Menschen entscheiden.«

Das gekippte Gesetz zur Besteuerung von Abfindungen wird nach der somit erfolgten Abschaltung des Verfassungsgerichtshofes nach dem Willen der Fidesz unverändert wiederum im Parlament vorgelegt und beschlossen. Regierungschef Orbán hat seiner Bevölkerung ein unmissverständliches Zeichen gegeben: Es gibt in diesem Lande nichts und niemanden, der zu ihm und seiner Mannschaft nein sagen darf. Entweder bist du mit uns oder du wirst kaltgestellt.

Der Verfassungsgerichtshof selbst schweigt seit den Ereignissen vom Dienstag. Die übrigen Parteien verwechseln offenkundig das Prinzip der Höflichkeit in der Politik mit einer Politik der schleimigen Anbiederung. Die Sozialisten als führende Oppositionspartei halten den jüngsten Schritt von Orbán für »bedenklich«. Die rechtsradikale Jobbik-Partei meinte, dass »Gelegenheitsgesetzgebung nicht elegant« sei und machte darauf aufmerksam, dass Fidesz in den vergangenen vier Monaten sozusagen wöchentlich, konkret bereits sieben Mal, die Verfassung geändert habe, weil deren lästige Vorschriften die Handlungsfreiheit der Regierungspartei beschränken. Die neue Grünenpartei »Politik kann anders sein« kündigte an, in jenem Ausschuss, der derzeit mit den Vorarbeiten zu einer neuen Verfassung für das Land beschäftigt ist, nicht mehr mitarbeiten zu wollen.

Obwohl im Lande viele der Meinung sind, dass es sich angesichts der neuen Alleinherrschaft nicht mehr lohne, die politischen Entwicklungen auch nur zu beobachten, findet die Ausarbeitung der neuen ungarischen Verfassung doch Interesse. Vielleicht wird aus Ungarn doch noch eine Monarchie mit einem König namens Viktor Orbán? Der Gedanke mag absurd erscheinen, ist er aber nicht. Auf den obersten Ebenen der Politik wird nämlich öffentlich sehr wohl darüber gesprochen, ob im neuen ungarischen Grundgesetz die Wiederherstellung des Königreiches zu überlegen sei oder ob man in dem neuen Grundgesetz wenigstens darauf verzichten könne, die Staatsform zu erwähnen. Eine Volksabstimmung über die neue Verfassung lehnt die Fidesz-Partei natürlich strikt ab.

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