Alles wird verwurstet
Cottbus: Johann Kresnik inszenierte Christoph Klimkes Stück »Fürst Pücklers Utopia«
Kaum zu glauben, wie viel Blödsinn für die Uraufführung dieser »Fürst-Pückler-Show« in Cottbus ersonnen wurde. Die Hälfte an Geistanstrengung hätte man sich sparen können. Da galoppieren verschiedenste Techniken und Mittel wie wilde Hengste über die Bühne und konterkarieren sich gegenseitig. Die Bilder, Szenerien wechseln so schnell, wie wenn die nervösen Ferngucker durch die TV-Programme zappen. Nichts ist so entlegen, dass es nicht zusammentreten könnte, Ballett à la Tschaikowski, Schlager, Dixiland, Blues, Seemanslied, Chormusik, orchestrale Intermedien, Rockmusik. Schnitttechnik allerorten, kaum ein Innehalten. Erholsam geradezu die Soli des Fürsten.
Vor Schluss kommt ein Mischbenzingestank verbreitender roter Trabbi mit Karl Marx am Steuer hereingefahren. Ausstieg, Positionierung. Von einer Bagage ringsum wird ihm der Mund gestopft mit Utopien einer konfliktlosen Gesellschaft, die man bei Marx nun wirklich nicht findet. Obligatorisch fließt Blut, aus dem Gummistiefel in die Fresse des Muskauer, Cottbuser, Branitzer Fürsten, und den Anblick schäumender Ejakulation, von zwei wild wichsenden Weiberflossen in Schuss gebracht, müssen die Augen ertragen. Da wird es ganz banal und eklig.
Dreck in allen Farben und Prägungen bringt Regisseur Johann Kresnik immer auf die Bühne. Das ist eine seiner kreativen Störungen. Auch der allzu leichtfertige Umgang mit Musik. Da purzelt alles durcheinander. Alles ist möglich und wird verwurstet. Ein jedes gehört in den Dreck gezerrt. Damit reicherte die Berliner Volksbühne vor allem in den Tanz-Porträts, die Kresnik entwarf, eine Zeit lang ihr Repertoire an. Beim Ernst-Jünger-Porträt stank es zuweilen nach angebranntem Fleisch, und die vertanzte Ulrike Meinhof umflorte ein Klima aus Schlager und Heimatkitsch. Der eine nimmt's leichthin, der andere ist verstimmt. Auch, weil hierdurch so viel Ernsthaftes auf der Strecke bleibt. »Fürst Pücklers Utopia« hätte als Sprechstück viel besser gewirkt, ohne diesen bunten Tineff dazwischen.
Die Show eröffnet mit Striptease. Das zieht immer. Und: Verdi, Nabucco, Gefangenenchor. Das zieht im neubürgerlichen Staatstheater noch mehr. Kommt beides gleichzeitig, ist der Oberflächenreiz perfekt. Die schwarzen Choristen, keinesfalls Gefangene, dürfen natürlich nicht wie auf Singakademieveranstaltungen singen, sondern mehr falsch als gut. Helles Licht fällt. Zwei Edeltussen entkleiden sich, die eine schwanger, was den Anblick zusätzlich versüßt. An die zehn Minuten dauert die Eröffnung. Und nichts passiert wirklich. Auf solch tolldreiste Zirkusnummern brennt die Bühne, glaubt Kresnik offenbar. Tohuwabohu.
Vier junge Saxophonistinnen in seidenschwarz stolpern blasend über die Szene. Die Dinge wiederholen sich. Lichtblick: der Schifferklavierspieler mit Tropenhelm. Der geht und schweigt gemütlich in den Einlagen und betätigt sentimentalistisch die Tasten. Zwei, nein drei ausgeborgte Liliputaner schlagen, wenn sie auftreten, immerfort Purzelbäume. Ihr Korrelat, die Transvestitin mit den langen Quanten und den heißen Schuhen, irrt funktionslos herum. Immer noch Anfang.
Endlich tritt der Fürst auf: als alter Mann mit Äffchen auf der Schulter. Träumen will er. Sein bewegtes Leben herbeirufen, alle, die ihm was waren, durchträumen, durchs ganze Stück hindurch. Ein Prinzip des Buches von Christoph Klimke: manches Frauenherz brach der Fürst. Im Traum setzt er sie neu zusammen. Ein weites Lebenspanorama drängt sich aufs Äußerste zusammen. Der Fürst, Gestalt und Ungestalt in einem, geliebt, gehasst, Gewinner und Verlierer im großen Stil, Frauenheld wie selten einer unter seinesgleichen, erhält erstaunliche Kontur. Roland Renner legt seine ganze darstellerische Vielseitigkeit in diese Figur. Durchweg sympathisch erscheint sie. Nichts, das man ihr übelnimmt. Selbst die größten Widersprüche in Pücklers langem Leben erscheinen wie liebevoll gehütete diametrale Pflänzchen.
Die Inszenierung baut auf Parodie. Trifft Pückler auf Goehte, so gerät dies allein durch das ulkige Aussehen des Dichterfürsten zur Lachnummer. Gleiches die Nummer mit dem bösen Kolonialherren, der Pücklers Geliebte, die schwarze schöne Machuba, so gedemütigt hat, dass sie willig in die Arme des Fürsten flieht. Pückler als »humaner« Kolonialist, auf Du und Du mit dem Typ des größten Ausplünderers. Hohes Gewicht haben die Szenen mit Pückler als Liebhaber. Als mal die Köchin des Hauses kündigen will, weil wegen der großen Schulden die Vorräte aufgezehrt sind, und sagt, sie werde nun bei Goethe in Dienst gehen, anwortet der Fürst: Goethe, lebt der noch? Solche wirklich komödischen Momente sind selten.
Dennoch gelingt in weiten Teilen unaufgeregter Szenen die Zeichnung dieses leicht verkommenen, fast bäuerisch ausschauenden Prototyps des verarmten Adels, vollgepumpt mit Schulden, demokratischen Ideen und kühnen Visionen. Plastisch wird: Das Utopia, das der alte Haudegen periodisch aufblendet, wird von ihm selbst immer wieder durchkreuzt und von der Umwelt mit bissigen Verbalien und Lachsalven kommentiert.
Zu Beginn tänzeln die Handelnden als Bäumchen herbei. Ein närrisch-neckisches Volk, das seinen Alterstraum fortan besiedelt. Personage im Schlepptau seiner Biografie, eine, die den Mann charakterisiert, indem sie ihn bewundert und schilt, liebt und verlacht. Am Ende fällt Utopia zusammen. Bäume fallen wie Tote um und von oben regnet es Plastikflaschen. Nochmals: unnötig, ja störend das ganze schrille Brimborium aus Abfällen der Kultur, das die Umsetzung zerhackt.
Nächste Vorstellung: 3.11.
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