Eine Bitte allerdings: Bleiben Sie dran!
MEDIENgedanken: Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus
Es gibt ihn noch, den guten Journalismus – so möchte man in Anlehnung an einen Werbeslogan die 6. Verleihung des Otto-Brenner-Preises für kritischen Journalismus kommentieren. Ausgezeichnet wurden vor wenigen Tagen »gesellschaftlich relevante, aber gemessen an deren Bedeutung nicht ausreichend behandelte Themen«. Der erste Preis wurde der »Ausnahmejournalistin« Carolin Emcke für den Essay »Liberale Rassisten« zuerkannt.
Emcke berichtet aus Sicht der Opfer von Kriegsschauplätzen weltweit und plädiert gegen die Furcht vor dem Fremden und gegen die Pauschalverdammung des Islam. Sie schreibt gegen die aktuelle Mehrheitsmeinung an, die sich auf einem »neuen Kreuzzug mit dem Buch Thilo Sarrazins im Gepäck« befindet. Die Reaktionen der Leser auf den in der Wochenzeitung »Zeit« veröffentlichen Beitrag »hätte man nicht für möglich gehalten«, so Laudator Herbert Prantl. Einige Leser monierten, dieser Text verfolge eine inzwischen hinlänglich bekannte Strategie der Verharmlosung der Probleme im Zusammenleben vieler Ethnien. Ein Text, der für ein Miteinander der Menschen und ihrer Kulturen werbe, sei heute die Ausnahme und alle Muslime würden für die Taten von Extremisten in die Verantwortung genommen. Mehr Respekt sei gefragt, oder wie treffend sagte es die Autorin selbst: »Wir sollten nicht auf das Kopftuch schauen, sondern auf den Menschen darunter.« Erstaunlich, wie sich das Klima im Land gedreht hat, wenn schon die Forderung nach Respekt und Toleranz Mut erfordert.
Wer wissen wolle, was heute »aufklärerischer Journalismus« sei, »der muss Carolin Emcke lesen.« Sie argumentiere gegen die gängige Meinung und tue dies »klug, mit präzisem Blick, Erfahrung und Mut.« Schon bei der Jahrestagung von »netzwerk recherche« im Juli hatte sie ihre Kollegen mit der Vision eines Journalismus, den diese globalisierte Zeit braucht und nicht den, den es derzeit gibt, vertraut gemacht. Sie setzte sich damals ebenfalls gegen den allerorten grassierenden Drang zur »Authentizität« ein und dankte jetzt der »Zeit«, dass sie diesen Text schreiben durfte: »In den Medien gibt es ein monochromes Bild von Muslimen, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat«. Gut, dass die Otto-Brenner-Stiftung Journalisten auszeichnet, die abseits des »schnellen Google-Klicks« unbequeme Fragen stellen und Missstände benennen. Besonders, wenn der so genannte Zeitgeist jegliches Maß für besonnene Debatten vermissen lässt und stattdessen mit der Berichterstattung über das Ehepaar Guttenberg endgültig die Darstellung und nicht mehr einen möglichen Inhalt in den Vordergrund stellt.
Was haben Niedrigstpreise in Deutschland mit miserablen Lebensbedingungen in Bangladesh zu tun – die »KiK-Story« ging der Spur des »kleinen Preises« nach. Mit hartnäckiger Recherche und einem mehrere Monate andauernden Kleinkrieg mit den Anwälten des zum Tengelmann-Imperium gehörigen Textildiscounters zeigten die Redakteure des NDR-Reporterteams um Christoph Lütgert die notwendige Ausdauer, um das »Schicksal der für KiK arbeitenden Näherinnen und der Verkäuferinnen in Deutschland so authentisch zu schildern, dass Weggucken schwerfällt.« Die Jury wollte mit dem Preis Mut für weitere Vorhaben stiften und zeigen, »wie Gebühreneinnahmen der öffentlich-rechtlichen Sender auch für kritischen Journalismus sinnvoll eingesetzt werden können.« Die reine Drehzeit für die 30-Minuten-Reportage betrug immerhin rund 25 Tage. Doch unbezahlbar ist es, wenn einem zynischen Konzern der Spiegel vorgehalten wird und Journalismus seiner Wächterfunktion vorbildlich nachkommt.
Otto Brenner war langjähriger Vorsitzender der IG Metall. Der nach ihm benannte Preis soll Journalisten ermutigen, Macht- oder Amtsmissbrauch, Diskriminierung, Manipulation der öffentlichen Meinung und Korruption zu thematisieren – »ungeachtet möglicher Konsequenzen«. Thomas Leif, Vorsitzender von »netzwerk recherche«, glaubt, dass kritischer Journalismus wieder gefragt sei in der Republik – sicher auch ein Verdienst solcher Auszeichnungen wider den Zeitgeist. Insgesamt sind die Preise mit 47 000 Euro dotiert, darunter auch mehrere Stipendien für konkrete Rechercheprojekte. Eine respektable Summe – doch sprichwörtliche »Peanuts« verglichen mit den Beträgen, die andernorts für Öffentlichkeitsarbeit und Rechtsberatung aufgewendet werden. Die Durchdringung der Gesellschaft mit mehr oder weniger durchsichtiger Schleichwerbung und Schönfärberei schreitet nahezu widerstandslos voran. Die positiven Ausnahmen machen die schlechte Regel des journalistischen Alltags in ausgedünnten Redaktionen nicht besser – sie machen aber bewusst, dass Journalismus eben mehr ist als die industrielle Herstellung von »Content«-Bausteinen für die vielen »Kanäle« der renditeorientierten Medienkonzerne. Texte, die den Mächtigen und Reichen ihre Grenzen aufzeigen und der sprichwörtliche »Tritt gegen das Knie« braucht diese Zeit mehr als alles andere. Gut, dass die Preisträger aus insgesamt 571 Bewerbungen ausgewählt werden konnten – jeder dieser Texte ein Gewinn für die Leser, die hier »gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten« geliefert bekamen. Doch wie treffend der Satz von Juror Volker Lilienthal: »Eine Bitte haben wir allerdings: Bleiben Sie dran!
Der Autor ist Journalist und Geschäftsführer der Linken Medienakademie e.V.
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