Toter Bauer – guter Bauer

Live aus Peepli

  • Alexandra Exter
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Ernährer seiner Familie taugt der Bauer erst nach seinem Tod. Denn während Lebensversicherungsverträge gemeinhin Klauseln aufweisen, die den Selbstmord des Versicherten als Auslöser der Zahlungen an Hinterbliebene ausdrücklich ausschließen, kommt der indische Staat dem Sterben seiner Bauern durch die eigene Hand mit finanziellen Nothilfeprogrammen entgegen, die jedenfalls die Hinterbliebenen vor weiteren Verzweiflungstaten bewahren sollen.

Den widerwilligen Helden von »Live aus Peepli – Irgendwo in Indien« bringt nun gerade dieses Nothilfeprogramm in Bedrängnis. Weil er für seine Familie nur durch sein Ableben zu dem Versorger werden würde, der er zeitlebens nicht recht sein konnte, weil Missernten zur drohenden Zwangsversteigerung führten und keine andere Hoffnung auf Besserung in Sicht ist, fordert man ihm das ultimative Opfer ab, um Frau, Kinder, Mutter und Bruder auf Lebenszeit zu versorgen. Natha (Omkar Das Manikpuri) will bei allem Elend doch eigentlich lieber leben. Aber was für eine Chance hat er schon gegen das nörgelnde Weib, die zeternde Mutter, den Hunger seiner Kinder – und die Intrigen seines taktisch gewandteren Bruders?

Mit dem Rücken an der Wand willigt Natha ein, sich für die anderen zu opfern. Und beschwört damit einen Medienzirkus herauf, der ihn und die Seinen gründlich überrollt. Bald wird live berichtet aus Peepli, das kaum mehr ist als ein Hüttendorf, Bettenvermieter erzielen Rekordpreise und jede Flasche Wasser wird zum höchstbezahlten Gut. Denn es ist Wahlkampf im Land, und da ist so ein Bauer, der keinen Ausweg mehr sieht als den Selbstmord, ein gefundenes Fressen für Rechte wie Linke. Man lobt ihn für seinen Einsatz, man schmäht die Gesellschaft, die ihn alleine ließ, man versucht den Selbstmord herbeizuführen oder zu verhindern, man politisiert mit großer und mit ganz großer Geste, aber konsequent immer auf Nathas Rücken – und am Ende kommt natürlich ohnehin alles anders als geplant.

Bollywood-Star Aamir Khan produzierte diese beißende Satire auf die Ärmsten der Armen und ihre ungehemmte Ausbeutung, die wirklich alles andere ist als ein Bollywood-Film, Debütregisseurin Anushka Rizvi führte Regie. Nun sind zwar weder Medienkritik noch Politikerschelte übertrieben originelle Themen für eine Gesellschaftssatire. Die Zahlen hinter der grimmigen Farce aber sprechen für sich: Mehr als 180 000 tote Bauern innerhalb von zehn Jahren waren der Grund für die Entwicklung der real existierenden Bauernnothilfe. Nur dass die eben viel zu spät kommt, weil sie erst greift, wenn der Bauer schon tot ist. Hier wird nicht das Übel beseitigt, sondern nur an dessen Folgen herumgebessert. Und dem Bauern selbst liegt der nun bezifferbare Wert seiner Leiche schon zu Lebzeiten wie ein Bleigewicht um den Hals.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.