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Vermummte Polizisten nicht länger anonym

Eine Einigungsstelle entscheidet, ob Kennzeichnungen an der Uniform zur Pflicht werden

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein anscheinend unendlicher Streit könnte alsbald entschieden sein. Am Freitag will eine Einigungsstelle darüber befinden, ob demnächst Berliner Polizisten Namensschilder an den Uniformen tragen werden, wenn der Einsatzort Demonstration heißt. Dem Gremium gehören paritätisch Vertreter des Innensenates/Polizeiführung und der Personalräte an. Das Gremium wird von einem Arbeitsrichter moderiert, der bei einem unentschiedenen Votum die entscheidende Stimme hat.

Dass es immer wieder zu Übergriffen, zu Gewalt am Bürger durch Polizisten kommt, ist keine Erfindung böswillig nörgelnder Dauerkritiker. In Heiligendamm, Stuttgart, im Neuen Wendland, in Berlin und anderswo wurde umfänglich gefilmt und dokumentiert. Was längst nicht bedeutet, dass man die Täter in Uniform auch erkennen könnte. Die Staatsmacht kommt bei solchen Einsätzen behelmt und damit vermummt daher – einen Polizisten zu identifizieren, bleibt geradezu unmöglich.

Das belegen auch die Disziplinarstatistiken der Berliner Polizeibehörde. Für 2009 sind dort 748 Strafverfahren wegen Körperverletzungen im Amt registriert – 679 werden im Verlaufe der Ermittlungen eingestellt, in sieben Fällen gibt es Freisprüche, fünfmal kommt es zu einem Urteil. Im Jahr davor sieht es kaum anders aus: 636 Fälle, 615 eingestellt, sechs Freisprüche, null Verurteilungen.

Als typisches Beispiel gilt ein nächtlicher vermummter SEK-Einsatz in der Berliner Disko »Jeton« im August 2005, wo sich Hooligans aufhielten. Dort wurden 570 Gäste von Beamten »zu Boden genötigt«, 160 festgenommen und bis zum nächsten Abend festgehalten. Das Ergebnis: massenweise Nasenbeinbrüche, viel Blut, Platzwunden, blau geschlagene Augenpartien bei nicht wenigen unbescholtenen Gästen. Die Staatsanwaltschaft stellte nach fast anderthalb Jahren die Strafverfahren ein – es konnte keinem Beamten eine konkrete Körperverletzung im Amt zugeordnet werden, hieß es.

Die Debatte über das Für und Wider zieht sich in der Hauptstadt seit Jahren dahin, ohne dass Analysen, Prüfaufträge, unabhängige Gutachten und Bewertungsversuche neue Aspekte gebracht hätten. Als heftigster Gegner erweist sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sie wähnt ihre Klientel und deren Familien mehr als bisher in Gefahr und spricht von einer Verletzung der Fürsorgepflicht, wenn die Pläne verwirklicht werden. Mit einem Ende der Anonymität wachse die Sorge um die Angehörigen und lähme damit die Einsatzfähigkeit. Schon jetzt würden jährlich um die 1000 Beamten im Dienst zum Teil schwer verletzt. Sie hätten es nicht nur mit Gutmenschen, sondern auch mit links- und rechtsradikalen Gewalttätern, Hooligans, besoffenen Fußballfans, der Türsteherszene, Rauschgifthändlern, kriminellen Motorradbanden und gewalttätigen Jugendgangs zu tun. Man müsse zudem mit einer Flut von Ermittlungsverfahren rechnen, die unabhängig vom Wahrheitsgehalt zu Beförderungssperren und damit erheblichen finanziellen Verlusten führen würden.

Wie fast immer, seit sie sich in der Opposition befindet, springt die CDU an die Seite der GdP und nennt eine individuelle Kennzeichnungspflicht »unverantwortlich«. Polizisten seien gerade in Berlin einer besonderen Bedrohung ausgesetzt, vor allem durch die Organisierte Kriminalität und durch rechts- und linksradikale Gruppen, erklärte Robbin Juhnke, innenpolitischer Sprecher der Fraktion. Mit dem Namensschild werde eine potenziell noch größere Gefährdung von Polizeibeamten billigend in Kauf genommen. Im Nachbarland Brandenburg möchte die gleiche CDU übrigens in einem Gesetzentwurf die Kennzeichnungspflicht festschreiben. »Zur Uniform gehört ein Name«, wird CDU-Innenpolitiker Sven Petke zitiert.

Die gegenteiligen Anträge der Berliner CDU werden im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses regelmäßig abgelehnt. SPD und Linkspartei wollen die Kennzeichnung einführen, die Grünen sind auch dafür, und für die FDP gehört das Namensschild zur Polizei einer Hauptstadt.

Nach Ansicht von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) soll der Staat gegenüber dem Bürger nicht anonym auftreten. Das gelte auch für emotionalisierte Bereiche wie Jobcenter, Ausländerbehörde, Sozialamt. Dort träten ganz selbstverständlich die Mitarbeiter mit Namensschildern auf. Die von den Gewerkschaften vorgebrachten Gründe seien schon wegen der Erfahrung mit freiwilligen Namensschildern in der Polizei und in anderen Bereichen nicht stichhaltig.

Dass ein Kontra-Votum der Einigungsstelle zum Verzicht auf das Kennzeichen führen würde, dürfte eher unwahrscheinlich sein. Zwar würde der Senator wohl mit der Mehrheit dieses Gremiums die Neuerung durchsetzen, dürfte aber auch bereit sein, sich über dessen Meinung hinwegzusetzen und das Schild per Senatsbeschluss herbeiführen. »Ich sehe nichts, was dagegen spricht«, sagte Körting.

Heute und einst

  • An Berliner Polizisten sind bislang 10 000 Namensschilder ausgegeben worden, auf dass sie freiwillig an die Uniform geheftet werden können.

  • Nach Angaben der Humanistischen Union sind Polizisten in den Niederlanden namentlich gekennzeichnet, mit Nummern u. a. in Großbritannien, Spanien und Tschechien. Es gibt keine Hinweise auf daraus entstandene Probleme.

  • Nach 1968 debattiert die Berliner Politik 1979 angesichts des Dauerkonfliktes mit der Hausbesetzer-Szene erneut die Kennzeichnung. Ein Test mit 300 Beamten scheitert an Zögerlichkeiten der mitregierenden SPD.

  • 1983: Die Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP (Weizsäcker-Senat) orientiert auf namentliche Kennzeichen für Kontaktbereichsbeamte und Verkehrsstaffeln. Der Plan wird von der GdP gestoppt.

  • CDU und FDP versuchen 1986/87 (Diepgen-Senat) erneut, das Vorhaben umzusetzen. Auf einer Protestkundgebung der GdP wird gefordert, dass Demonstranten ebenfalls Namensschilder tragen sollen.

  • Bis um die Jahrhundertwende gehörte es gewissermaßen zu den Gepflogenheiten geschlossener Einheiten in Berlin, etwa am 1. Mai in Kreuzberg, den Knüppel regieren zu lassen. Mit der Amtsübernahme von Rot-Rot nimmt ein Bewusstseinswandel seinen Anfang.

  • 2006: SPD und Linkspartei vereinbaren die namentliche Kennzeichnung in ihrer Koalitionsvereinbarung. Darin heißt es: »Die Polizei muss für den Bürger da sein …« Für ihn »bedeutet es im Umgang mit der Verwaltung Bürgernähe und Transparenz, wenn Verwaltungsmitarbeiter nicht anonym, sondern namentlich als Gegenüber auftreten. Das gilt auch für die Mitarbeiter der Berliner Polizei.«

Rainer Funke

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