Geliebt und ausgebeutet

Neues Projekt an der Uni Hamburg erforscht Mensch-Tier-Verhältnis

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Hamburger Professorin und Studierende gründen das erste sozialwissenschaftliche Projekt in Deutschland, das die gesellschaftliche Mensch-Tier-Beziehung erkunden soll.

Tiere sind in der modernen Gesellschaft allgegenwärtig. Ihre Körper werden konsumiert als Nahrung und Kleidung, Sportgerät und Spielzeug. Die Forschung benutzt sie als Versuchs- und Studienobjekte. Vielen Menschen sind sie aber auch als lebende und fühlende Individuen lieb und teuer – nicht selten der beste Freund. Trotz dieser intensiven und widersprüchlichen Beziehung sind Tiere in den Gesellschaftswissenschaften bislang kaum Gegenstand der Forschung. »Die Soziologie in Deutschland hat bisher die hohe gesellschaftliche Relevanz der Mensch-Tier-Beziehung weitgehend ausgeblendet«, erklärt die Hamburger Professorin Birgit Pfau-Effinger auf dem Lehrstuhl für Sozialstrukturanalyse. »Dabei bietet sie eine Reihe theoretischer Konzepte und Methoden, um dieses äußerst spannungsreiche Verhältnis zu erforschen.«

Dafür hat Pfau-Effinger zusammen mit sieben Studierenden und Absolventen soziologischer Studiengänge an der Universität Hamburg die Group for Society and Animals Studies (GSA) aufgebaut. Diese Gruppe, deren Mitglieder zum Teil schon seit Jahren wissenschaftlich zum Thema arbeiten und sich politisch für Tiere engagieren, widmet sich den Human-Animal-Studies und ist die erste ihrer Art in Deutschland.

Die Kernbereiche dieses interdisziplinären Forschungsfeldes sind die Historiographie der Mensch-Tier-Beziehung, Tiere und Tierbilder in der abendländischen Ideengeschichte, der Kunst, Literatur und modernen Massenmedien, die Kritik an der Inwertnahme und Ausbeutung von Tieren sowie die Auseinandersetzung mit der Forderung nach Tierrechten und Tierbefreiung. Im Wissenschaftsbetrieb der meisten englischsprachigen Länder der westlichen Welt sind die Human-Animal-Studies seit einigen Jahren verankert – beispielsweise innerhalb der Britisch Sociological Association. Wissenschaftler haben internationale Netzwerke und Fachzeitschriften wie das Society & Animals Journal gegründet, das bereits seit zehn Jahren existiert.

»An diese internationale Entwicklung möchten wir anknüpfen«, berichtet Julia Gutjahr, Studierende der Soziologie und Gründungsmitglied der Group for Society and Animals Studies, die aus einem Buchprojekt zum Mensch-Tier-Verhältnis hervorgegangen ist. Die »ungemeine Bedeutung« der Tiere für die Gesellschaft werde noch unterschätzt, meint Gutjahr und verweist auf ihre »ihre große Präsenz innerhalb unserer Symbolwelt, ihren erheblichen Anteil an einer Vielzahl gesellschaftlicher Interaktionen und Beziehungen mit menschlichen Akteuren und nicht zuletzt auf ihren Status als Ware und Produktionsmittel«.

Die GSA soll als Plattform und Anlaufstelle für Forschungen im Bereich der Human-Animal-Studies dienen, Tagungen und Workshops zu der Thematik organisieren, theoretische und empirische Forschungsvorhaben realisieren, nennt Gutjahr die Agenda der Gruppe. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte: Analyse des Mensch-Tier-Verhältnisses sowie der verschiedenen Kommunikationsformen zwischen Menschen und Tieren und der Rolle von Tieren in der soziologischen Theorie. Ein besonderes Erkenntnisinteresse gilt der wachsenden Ambivalenz in der gesellschaftlichen Beziehung des Menschen zu den Tieren, die in der »Gleichzeitigkeit historisch erstarkender Egalitätsideen gegenüber Tieren und einer historisch neuartigen Institutionalisierung von Gewalt- und Herrschaftsverhältnissen gegen diese« zutage trete.

Infos: www.gsa-hamburg.org

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