Am Stammtisch der Rückkehrer in Istanbul

»Almancilar« werden sie am Bosporus genannt

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 5 Min.
Etliche gut ausgebildete Türken aus Mitteleuropa kehren in die Türkei zurück, wo sie durchaus Arbeit finden. Doch wie ihre Eltern, die in Europa ihre türkische Identität nicht einfach abgelegt haben, gehen nun ihre »zurückgekehrten« Kinder in der Türkei nicht einfach auf.
Die einen haben in das Land ihrer Vorfahren zurückkehren wollen, andere sind lediglich dem Zwang der Umstände gefolgt: Im Istanbuler Stadtteil Beyoglu  treffen sich die »Almancilar« regelmäßig zum Stammtisch.
Die einen haben in das Land ihrer Vorfahren zurückkehren wollen, andere sind lediglich dem Zwang der Umstände gefolgt: Im Istanbuler Stadtteil Beyoglu treffen sich die »Almancilar« regelmäßig zum Stammtisch.

Auch durch das wenig angenehme Herbstwetter lassen sich die Gäste nicht von ihrer Dachterrasse vertreiben. Ein Zelt schützt sie notdürftig vor heftigen Sturmböen und Regenschauern. An vielen Ecken spritzt immer wieder das Wasser herein. Doch bei Bier, Rotwein und Chips lassen sich die »Rückkehrer« an ihrem bereits legendären Stammtisch die Laune nicht verderben.

»Almancilar« werden sie in der Türkei genannt, was am ehesten als »Deutschler« zu übersetzen wäre. Schon, dass es dieses Wort »Almancilar« gibt, zeigt deutlich an, dass sie in der Heimat ihrer Eltern nicht einfach aufgegangen sind.

Die Architektin Emine Sahin erzählt, dass man ihr vor der »Rückkehr« in das Land ihrer Eltern gesagt habe, in der Türkei müsse sie sich zu hundert Prozent anpassen, um keine Probleme zu bekommen. Doch das könne sie nicht, dann wäre sie ja nicht mehr sie selbst, »nicht mehr die Emine, die ich bin«.

Weder ganz deutsch noch ganz türkisch

Die Soziologin Alev Karatas bekennt, weder ganz deutsch noch ganz türkisch zu fühlen. »Das kann man nicht beschreiben, man muss es erlebt haben.« Später gebraucht sie noch einen Vergleich: Goethes Faust könne man nicht einfach ins Türkische übersetzen und umgekehrt nicht alles Türkische ins Deutsche.

Anders als Emine Sahin hat sich Alev Karatas nicht von vornherein für die Türkei entschieden. Der Grund ihrer Übersiedlung war ganz einfach, dass sie als Soziologin in Deutschland nur ganz beschränkte Arbeitsmöglichkeiten hatte. In der Türkei war es dagegen kein Problem, die Branche zu wechseln. Sie arbeitet jetzt im Im- und Export und lobt vor allem die Flexibilität türkischer Firmen. Wenn in Deutschland das Personal ausgelastet sei, dann gehe eben nichts mehr. Wenn dagegen in der Türkei ein Auftrag komme, dann heiße es auch in solchem Fall: »Wir versuchen etwas.«

Die Rückkehrer sind gut ausgebildet, flexibel und zupackend. Damit passen sie gar nicht in das Bild, das der ehemalige Bundesbanker Thilo Sarrazin in seinem umstrittenen Bestseller »Deutschland schafft sich ab« von den in Deutschland lebenden Türken gezeichnet hat. Sarrazins Welt bevölkern Türken, die zu einem großen Teil von staatlichen Zuwendungen leben, allenfalls einen Gemüseladen eröffnen, aber sich nicht um die Ausbildung ihrer Kinder kümmern. Sarrazin ging sogar so weit, den Türken zu unterstellen, sie seien dümmer als die deutsche Bevölkerung.

Auf den Vorhalt, dass gerade diejenigen Türken Deutschland den Rücken kehren, die selbst ein Herr Sarrazin akzeptieren könnte, reagiert Alev Karatas geladen: »Sarrazin würde ich am liebsten anzeigen. Ausländer waren doch in Deutschland noch nie willkommen, ganz gleich, wie gebildet sie waren.«

Nach der Lektüre von Beiträgen aus der deutschen Presse hätte man erwarten müssen, hier in Istanbul auf einen Club junger Türken zu treffen, die sich gleich nach Abschluss ihrer Ausbildung in Deutschland entschlossen haben, im Wirtschaftswunderland Türkei Karriere zu machen – unkritisch, nur mit dem eigenen Fortkommen beschäftigt und etwas elitär. Doch nichts davon ist an diesem Stammtisch zu spüren.

»Ich hatte doch gar keine andere Wahl«

Recep Karakis, der in der Entwicklungsabteilung von Mercedes in der Türkei tätig ist, wundert sich über die Frage, warum er in die Türkei gegangen ist. »Ich hatte doch gar keine andere Wahl«, sagt er, »Nach dem Abschluss meines Studiums in Deutschland hatte ich keine Aufenthaltsgenehmigung mehr.« Ein zweites Mal war er in die Bundesrepublik gereist, um an bestimmten Projekten mitzuarbeiten. Nach deren Abschluss gab es wieder keine Aufenthaltsgenehmigung für ihn.

Vom »Wirtschaftswunder« der Türkei will man – zumindest an dem Tisch, an dem ich schließlich mit drei Rückkehrern gelandet bin – auch nichts hören. Das mag freilich auch damit zusammenhängen, dass meine Gesprächspartner andernfalls wohl der Regierung Recep Tayyip Erdogans ein gutes Zeugnis ausstellen müssten, aber dazu ist in unserer Ecke niemand bereit. Wie viele Türken mit guter Ausbildung misstrauen die Tischgenossen der Regierung. Das Wort von der »Diktatur in Zivil« geht um. Aykut, ein Textilunternehmer, der schon vor 18 Jahren in die Türkei zurückgekehrt ist, fühlt sich manchmal von Ferne an seinen Schulunterricht in Deutschland erinnert. Das sei doch ähnlich wie der einstige Aufstieg der Nazis: Immer mehr Macht konzentriere sich in einer Hand, Einmischung in die Justiz, politische Gegner werden aus irgendwelchen Gründen ins Gefängnis gesteckt, kritische Medien unterdrückt ...

Probleme gibt es aber nicht nur in der Türkei. Auf das Thema Ausländerfeindlichkeit angesprochen, erzählt Recep, er habe für die gleiche Arbeit als Türke im Ausland weniger Lohn bekommen als seine Kollegen. Auch Fehler seien ihm nicht so leicht verziehen worden wie anderen. Sein Gegenüber Engin erinnert sich, dass er in einer Bar in Zürich von einer Frau angesprochen wurde. Irgendwann fragte sie ihn, ob er Italiener oder Grieche sei. Als er verneinte, fragte sie ihn direkt: »Bist du etwa Türke?« Das bejahrt er, worauf die Frau sich abwandte. Recep will das allerdings nicht unbedingt als generelle Türkenfeindlichkeit werten. Vielleicht habe die Frau gerade eine schlimme Erfahrung gemacht.

Ein Traum, der viele in der »Fremde« befällt

Bei den Leuten am Tisch waren es durchweg sachliche Gründe, die sie dazu bewogen oder gezwungen haben, in das Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Doch das schließt nicht aus, dass mancher ohnehin davon geträumt hatte. Auf diese Frage antwortet Engin. »Ja, solche Träume haben wohl alle in der Fremde, doch komischerweise bleiben doch schließlich fast alle dort. Den Widerspruch müsste mal jemand untersuchen.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.