Knallharter Schläger in Uniform

Prozess um einen ungleichen Boxkampf am Rande eines Fußballspiels

  • Lesedauer: 3 Min.
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen
Peter Kirschey aus Berliner Gerichtssälen

Sie soll einen Polizisten gewürgt, misshandelt, beleidigt haben, deshalb steht Anna H. vor Gericht. So zumindest steht es in der Anklage der Staatsanwaltschaft. Doch was war wirklich geschehen? Wer war Täter und wer Opfer? Gegen Ende des gestrigen ersten Verhandlungstages glaubte niemand mehr an die Darstellungen der Polizei, auch der Richter und die Staatsanwaltschaft nicht. Doch bevor der beteiligte Polizist nicht gehört werden kann, ist ein abschließendes Urteil nicht möglich. Rückblende:

Am 17. April spielten in der II.Bundesliga Union und St. Pauli in der Wuhlheide. Nach dem Spiel trafen sich einige St.-Pauli-Fans an einer Tankstelle. Da nahm das Unglück seinen Lauf. Rings um die Tankstelle hatte sich ein großes Polizeiaufgebot festgesetzt. Man fürchtete Ausschreitungen eines Rocker-Klubs. An der Ausfahrt zur Tankstelle saß ein einsamer Mann am Straßenrand, der so viele Prozente intus hatte, dass er die Welt ringsum nur noch als dicken Reisbrei wahrnahm. Deshalb reagierte er auch nicht auf die Aufforderung, die Ausfahrt zu räumen. Als ein Polizeifahrzeug dem Alkoholgesättigten bedrohlich nahe kam, eilte Anna zu Hilfe, um ihn aufzuheben. Was dann geschah, schilderten Anna als Beteiligte und mehrere unbeteiligte Zeugen. Sie redete auf den Polizisten ein, dass der Mann nicht in der Lage sei, die Einfahrt freizugeben, sie wolle helfen. Der Uniformierte reagierte äußerst aggressiv. Anna konnte gerade noch sagen, dass sie selbst viele Jahre Polizistin war und solche Einsätze kenne. Noch ehe sie sich versah, traf sie ein harter Fausthieb mitten ins Gesicht. Die Situation eskalierte, die Herumstehenden schrien, die anderen Polizisten bildeten eine Absperrkette. Der Schläger ging kurz zurück, um das Opfer anschließend noch einmal mit seinen Fäusten zu traktieren.

Dann riss er sie an den Haaren herunter, zwei Ordnungshüter führten sie wie eine Schwerverbrecherin ab. Anna landete auf der Polizeiwache. Am Abend fuhr sie mit Freunden zur Rettungsstelle Friedrichshain, die Augen waren zugeschwollen, vier Zähne abgesplittert, das Nasenbein gebrochen. Alles wurde im Krankenhaus dokumentiert. Was die Polizei nicht bemerkte: Die Aktion des uniformierten Faustkämpfers wurde von einem Handy aufgenommen. Die Bilder zeigen eindeutig einen prügelnden Polizisten und keine würgende Anna. Doch wie so oft in solchen Fällen ist es die Polizei, die Anzeige erstattete und nicht das Opfer.

Als die Garde der Polizeizeugen, dann auflief, musste der Richter sie eindringlich zur Wahrheit ermahnen. Das macht er bei jedem Zeugen, doch in diesem Falle wies er sie mehr als deutlich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hin, falls sie sich selbst strafbar gemacht hätten. Die schwarzen Mannen wollten aussagen, zur Wahrheitsfindung konnten sie wenig beitragen. Sie hatten eigentlich nichts gesehen oder nur über den Boxer gehört, was da passiert sein soll. Nur ein Beamter hat einen Schlag gesehen, warum, wusste er auch nicht.

So wird das Urteil am 24. November gefällt, wenn der Rambo im Dienst dem Gericht zur Verfügung steht. Gegen den Polizisten wird es ein Extraverfahren geben.

Es häufen sich die Fälle, wo sich Uniformierte wegen Gewalttaten vor Gericht verantworten müssen. Konnten sie früher schalten und walten wie sie wollten, so müssen sie heute immer damit rechnen, bei ihren Aktionen gefilmt oder fotografiert zu werden. So wie auch in diesem Fall. Offensichtlich sind einige der strammen Kerle hoffnungslos überfordert und fühlen sich im Recht: Sie sind ja die Staatsmacht und der Bürger hat den Anweisungen der Uniformierten bedingungslos zu folgen. Ein böser Denkfehler.

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