Konfliktreiches Kursbuch für die nächste Dekade

Die Allianz wird ein »nukleares Bündnis« bleiben

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.
Neue Strategie samt Raketenabwehr, Abzugsplan für Afghanistan, Umbau der Kommandostruktur: Binnen 24 Stunden hat die NATO eine Reihe grundlegender Beschlüsse gefasst. Ihren Charakter hat sie damit nicht geändert.

Triumphierend schwenkte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im Lissabonner Konferenzzentrum einen blauen Ordner mit elf Seiten und 38 Artikeln: »Das ist unser Kursbuch für die nächsten zehn Jahre.« Elf Jahre nach der letzten konzeptionellen Runderneuerung hat der Nordatlantik-Pakt eine neue Strategie verabschiedet. Auch mit veränderter Kommandostruktur bleibt es bei der Beistandspflicht laut Artikel 5 des NATO-Vertrags: Ein Angriff gegen ein Mitglied ist ein Angriff gegen alle. Zugleich denkt die Allianz weit über ihr Bündnisgebiet hinaus: »Die NATO wird sich engagieren, wenn es möglich und nötig ist, um eine Krise zu verhindern oder zu bewältigen«, heißt es in dem Text.

Und obwohl man angeblich vermehrt auf zivile Instrumente setzen sowie mit UNO und EU stärker zusammenarbeiten will – entscheidend bleibt die Fähigkeit, zwei größere Kriege und sechs kleine militärische Einsätze gleichzeitig führen zu können. Erwähnt wird dabei auch die Abhängigkeit der Mitgliedsländer von natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas und anderen Rohstoffen und die Sicherheit des Transports dieser Güter in den NATO-Raum. Neben dem Kampf gegen den Terrorismus werden als neue Bedrohung auch sogenannte Cyber-Angriffe definiert, deren Abwehr selbst NATO-treue Bundestagsabgeordnete nicht als Kernaufgabe des Militärbündnisses sehen. Abgeschwächt heißt es jetzt im Konzept, dass Mitgliedstaaten die Allianz bei solchen Attacken konsultieren könnten, ohne dass eine Beistandspflicht bestehe. Die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen Angriffs auf einen NATO-Staat schätzt das Strategiepapier als »gering« ein.

Erstmals wurde dort auch das Ziel einer atomwaffenfreien Welt formuliert. In Artikel 26 findet sich nicht zuletzt auf Drängen Deutschlands ein eigener Passus zur Abrüstung, wobei vor allem mit den auf ihre atomare Selbstbestimmung pochenden Franzosen um jede Formulierung gefeilscht wurde. Zugleich aber werden Atomwaffen weiter als Schlüsselelement der Gesamtstrategie bezeichnet. Die Arsenale der USA, Frankreichs und Großbritanniens seien ein Beitrag zur allgemeinen Sicherheit der Verbündeten. »Solange es Atomwaffen gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben«, betont Artikel 17. Mit diesem Credo bleiben auch die taktischen Atombomben der USA in Europa stationiert, obwohl wie Deutschland mehrere Mitgliedstaaten ihren Abzug fordern.

Wesentlicher Teil des neuen Konzepts ist eine eigene Raketenabwehr, die das gesamte Bündnisgebiet in Europa umfassen soll. Wobei Russland eingeladen wurde, am Aufbau eines solchen Schirms mitzuarbeiten (siehe Beitrag unten). Auch in den Beziehungen zu Moskau will die NATO eine neue Etappe verstärkter Zusammenarbeit einläuten. Die dort kritisch gesehene Osterweiterung der Allianz jedoch geht weiter: Die »Tür zur Mitgliedschaft« stehe »allen europäischen Demokratien« offen. Dafür darf Moskau künftig den NATO-Nachschub Richtung Hindukusch besser unterstützen; zudem soll die afghanische Armee russische Hubschrauber erhalten.

In Lissabon kündigten die 28 NATO-Staaten das Ende des Kampfeinsatzes bis 2014 an. Schon im nächsten Jahr will man mit dem Abzug der rund 130 000 Soldaten aus Afghanistan beginnen und in einzelnen Provinzen die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanische Armee und Polizei übertragen.

Doch gaukelt man den kriegsmüden Wählern auch hier etwas vor, denn letztlich »werden wir bleiben, bis der Job getan ist«, so Generalsekretär Rasmussen. 2011 ist eine weitere internationale Afghanistan-Konferenz in Bonn geplant. Die NATO-Staats- und Regierungschefs treffen sich 2012 in den USA wieder.

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