Angst vor Abstieg ins »kommunale Prekariat«
Hessische Bürgermeister und Landräte protestieren gegen Kürzungen beim Finanzausgleich
Gegen die zunehmende Finanznot der hessischen Kommunen demonstrierten am Montag mehrere hundert Bürgermeister und hauptamtliche Kommunalpolitiker vor dem hessischen Landtag in Wiesbaden. Sie folgten einem gemeinsamen Aufruf der kommunalen Spitzenverbände Städtetag, Landkreistag und Städte- und Gemeindebund.
Anlass der ungewöhnlichen Protestaktion war die Absicht der regierenden CDU-FDP-Koalition, den kommunalen Finanzausgleich um 360 Millionen Euro pro Jahr zu kürzen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll Mitte Dezember im Landtag verabschiedet werden. Zudem wehren sich die Kommunalpolitiker dagegen, dass Bund und Land ihnen »beständig neue und kostspielige Aufgaben übertragen«. Die von Hessens Finanzminister Axel Schäfer (CDU) angekündigte Vorziehung der Überweisungen entspreche dem Gebaren eines Arbeitgebers, »der seinen Mitarbeitern erst den Lohn kürzt und ihnen dann einen geringeren Vorschuss auf die Folgejahre gewährt«, kritisierte der Bürgermeister der Stadt Pohlheim, Karl-Heinz Schäfer (SPD). Bundesmittel etwa für die Kinderbetreuung blieben »beim Land liegen«. Bald gehörten die meisten Gemeinden zum »kommunalen Prekariat«.
»Der Entzug der 360 Millionen Euro ist falsch«, monierte der Rüsselsheimer Oberbürgermeister Stefan Gieltowski (SPD). Ohne eine bessere Finanzausstattung sähen sich die Kommunen zu einer Anhebung von Steuern und Gebühren und Einschränkung freiwilliger kommunaler Leistungen gezwungen. Es sei besorgniserregend, dass sich die Kassenkredite der Kommunen zur Finanzierung laufender Ausgaben bundesweit bis Ende 2010 auf einen Betrag von rund 40 Milliarden Euro anhäuften. »Wer nicht kämpft, hat schon verloren«, rief der Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Erich Pipa, aus und drohte mit einer Klage vor dem Hessischen Staatsgerichtshof, um die in der hessischen Landesverfassung verankerte ausreichende Finanzausstattung der Kommunen durch den Staat durchzusetzen.
Finanzminister Axel Schäfer sprach von einer großen Kluft zwischen reichen und finanzschwachen Gemeinden in Hessen. »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt«, stellte der FDP-Abgeordnete Alexander Noll fest: »Das Geheimnis des Sparens ist der Verzicht.«
»Das Schwimmbad in meiner Heimatstadt, in dem ich Schwimmen gelernt habe, ist geschlossen«, hielt ihm der Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir entgegen. Das Land gehe nicht fair mit den Kommunen um und provoziere, dass sich die Bürger vom Gemeinwesen verabschiedeten. »90 Prozent der hessischen Kommunen können keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen«, stellte SPD-Mann Günter Rudolph fest. Er kritisierte die im Bund zu Jahresbeginn beschlossene Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen.
Den Schulterschluss von Kommunen, Gewerkschaften und Sozialverbänden gegen die Finanzpolitik in Hessen und die von CDU und FDP angestrebte Verankerung einer »Schuldenbremse« in der Landesverfassung forderte Hermann Schaus (Linksfraktion). Er erinnerte daran, dass alle Bundesregierungen seit 1998 durch Steuersenkungen dem Staat pro Jahr 50 Milliarden Euro potenzielle Einnahmen entzogen hätten. Dies bedeute für Hessen 1,5 Milliarden weniger im Landeshaushalt und eine Milliarde weniger für die Kommunen. Die Kommunalpolitiker hätten es in der Hand, andere Mehrheiten in ihren Parteien durchzusetzen und einen Kurswechsel von unten zu erzwingen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.