Die Kümmerer aus der Uckermark

Eine Designerin, ihre Strickfrauen und die soziale Verantwortung von Unternehmern für die Region

  • Lesedauer: 8 Min.
Zugegeben, begeistert war Pia Wehner nicht, als sie vom Vorhaben hörte, über ihr Sozialprojekt in Prenzlau im ND zu berichten. Das Gespräch mit der 54-Jährigen erwies sich dennoch als äußerst interessant und anregend. Gabriele Oertel hat die Erfahrungen der Designerin aufgeschrieben – und auch das, was der womöglich vor dem Termin durch den Kopf gegangen ist.
Pia Wehner und »ihre« Strickfrauen im Prenzlauer Treff der Volkssolidarität
Pia Wehner und »ihre« Strickfrauen im Prenzlauer Treff der Volkssolidarität

Dass ich mich darauf eingelassen habe ... Dabei sehe ich Journalisten kritisch. Und dann ausgerechnet noch Neues Deutschland. Mit denen hatte ich schon zu DDR-Zeiten nichts am Hut. Wie mit vielem anderen nicht. Und jetzt habe ich das Gespräch doch zugesagt. Es geht schließlich nicht nur um meine Befindlichkeit, sondern um »meine« Strickfrauen, wie viele hier in der Uckermark die Gruppe nennen, mit der ich jetzt seit drei Jahren arbeite. 30 Stunden pro Woche stricken langzeitarbeitslose Frauen im Prenzlauer Treff der Volkssolidarität die schönsten Teile, manche haben hier erst das Stricken erlernt. Pullover, Jacken, Mützen, Schals – selbst entworfen und mit einer Kreativität, die die meisten gar nicht bei sich vermutet haben.

Die Idee zum Projekt »Strickmanufaktur« ist unter einem Nussbaum geboren worden. Da saß ich eines schönen Tages mit Bärbel Glogan, der Geschäftsstellenleiterin der Volkssolidarität, und wir haben gesponnen, was man in dieser Gegend machen kann, in der die Arbeitslosigkeit seit Jahren um die 25 Prozent liegt.

Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir : Unternehmerin hilft arbeitslosen Frauen. Aber das genau ist es nicht, was ich lesen will. Ob ich das in dem Gespräch klar machen kann – ich bin eher skeptisch. Ist alles so kurzschlüssig in Politik wie Zeitungen, zu simpel. Aber ich kann ja auch keinen Vortrag halten über den Mittelstand, zu dem ich als Tochter eines kleinen privaten Stahlbau-Unternehmers und später als freiberufliche Designerin gehöre. Dieser sogenannte Mittelstand hatte 40 Jahre in der DDR keinen guten Stand und wird leider heute oft genauso geringgeschätzt.

Unternehmerin aus Überzeugung

Aber fest steht doch, dass wir, die im Unterschied zu Großunternehmen national verwurzelt sind, hier unsere Steuern zahlen und Eigentum zu verlieren haben, die eigentlichen Kümmerer sind, die vor Ort nicht nur die Firmenbilanz im Auge haben dürfen, sondern auch Schulen, Kinderbetreuung und Kultur – die gut ausgebildete und sich geschätzt fühlende Leute um sich haben wollen, damit das eigene Unternehmen wie das Gemeinwesen funktionieren. Wenn wir das von uns und unseren Vorfahren Geschaffene über die Generationen weiterführen wollen, haben wir also auch soziale Verpflichtungen. Wir wollen schließlich nicht abgeschottet und isoliert sein und jeden Tag in den Spiegel gucken können. Deshalb finde ich die Bemühungen auch richtig, mit Hilfe von Landes- und EU-Mitteln eine Brücke zwischen Unternehmertum und Sozialengagement mit Hilfe von Weiterbildung und Wirtschaftsberatung zu schlagen. Und dann brauchen wir solche Unternehmen wie iq-consult, die diesen Weg mit hoher Professionalität begleiten.

Ich bin ja nicht erst seit heute als Unternehmerin auf dem Markt, habe dabei viele Höhen, aber auch manch tiefes Tal erlebt und kann deshalb auch aus eigener Erfahrung einschätzen, wie wichtig solcherlei Bemühungen sind. Ich war als gelernte Handweberin, Absolventin der Kunsthochschule Weißensee und Mitglied im Verband Bildender Künstler schon zu DDR-Zeiten eine der wenigen freien Industriedesignerinnen und Honorardozentin in Weißensee. Festangestellt wurde ich an der Kunsthochschule nicht, weil ich das kleine rote Büchlein nicht wollte. Ironie der Geschichte: Nach der Wende wurde ich vom bundesdeutschen Rechtsstaat nicht positiv evaluiert, weil ich dereinst als Hochschullehrerin nur Honorarkraft war.

Das aber werde ich der Frau von der Zeitung nicht erzählen. So ist es schließlich nicht nur mir allein gegangen. Erzählen aber kann ich, wie wir schon in den 80ern als Freiberufler Jugendklubs, Läden, Hotels, Villen und Stoffkollektionen verwirklicht haben. Wir – Künstler der verschiedensten Sparten, die sich in einem Neubrandenburger Kreis zusammengefunden hatten – konnten über die Auftragslage nicht klagen. Nach 1989 habe ich dann einiges für die Textilindustrie und viel in der Objektausstattung gearbeitet, einen Designpreis in der Schweiz bekommen. Irgendwann bin ich über Caritas und Diakonie zu einer ganz neuen Richtung gekommen – es ging darum, in Seniorenresidenzen über Orientierungs- und Leitsystemen beispielsweise für Demenzkranke nachzudenken. Ihnen sollte in nonverbaler Sprache der Weg im Haus erleichtert werden. Das baut Ängste ab und trägt über Bilder dazu bei, dass Heimbewohner sich im wahrsten Wortsinn heimisch fühlen. So kam auch der Kontakt zur Volkssolidarität.

Dass irgendwann hier bei den Strickerinnen eine eigene Firma herauskommen würde, haben freilich weder Gisela Bleek und Waltraud Benthin – die beiden Frauen, die sich hier im Treff immer um die Frauen kümmern und ohne die das Projekt niemals gelungen wäre – noch die initiativ- wie einfallsreiche Bärbel Glogau von der Volkssolidarität, die sich mit hohem persönlichen Einsatz hinter das Projekt gestellt hat, oder ich selbst geahnt. Zunächst kamen die Frauen mit einem Schein von der Arbeitsagentur – skeptisch die einen, neugierig die anderen. Jahrelange Arbeitslosigkeit und entmündigende Alimentierung durch den Staat verarbeiten Betroffene ganz unterschiedlich. Erst kommt die Arbeitslosigkeit, dann manchmal Kopf- und Orientierungslosigkeit. Deshalb war mein Ansatz von Anfang an nicht die Beschäftigung um jeden Preis, sondern wenigsten zehn bis 15 Frauen rauszuholen aus jenem Loch und ihnen zu zeigen, dass sie wertvolle Menschen sind, etwas können. Sie stricken, was man braucht und erfahren gleichzeitig das schöne Gefühl und die eigene Kraft, etwas erschaffen zu können. Selbstwertgefühl kann man nach meiner tiefen Überzeugung Menschen weder nehmen noch geben – das wächst einfach und muss nur aus der durch Verletzungen und oft zahllose Negativerfahrungen stattgefundenen Verschüttung wieder rausgebuddelt werden. Heilung vollzieht sich meistens, ohne dass sie bewusst wird – in der Kommunikation mit anderen, die Schritt für Schritt dafür sorgt, dass Kritik am Produkt plötzlich nicht als persönlicher Angriff aufgefasst wird, Teamfähigkeit entsteht – und sich sogar psychosomatische Erkrankungen in Luft auflösen können.

Als wir vor einiger Zeit die Ausstellung in der Volksbank hier in Prenzlau gemacht haben, hat mich der Stolz der Frauen gefreut. Viele der Besucher waren geradezu fassungslos – und das nicht, weil Hartz-IV-Betroffene etwas zustande gebracht haben, sondern vielmehr, dass in ihrer Stadt Menschen leben, die so etwas Schönes herstellen können. Auch das war mir wichtig. Es geht mir nicht um die Mobilisierung von Mitleid, denn Mitleid hat etwas Teuflisches und setzt die Bereitschaft voraus, dass sich die bemitleidete Seite erniedrigt. Es geht darum zu zeigen, was Menschen können, wenn man sie ernst nimmt. Das hat offenbar auch im Prenzlauer Grundsicherungsamt seine Wirkung nicht verfehlt. Hätte man dort nicht die kreative Kraft des Projektes erkannt, wären wir nicht drei Jahre lang unterstützt und finanziert worden. Es hat sich schließlich auch gelohnt – acht der Frauen wollen in Zukunft das Stricken zu ihrem Beruf machen.

Aufgehoben im doppelten Sinne

Vielleicht habe ich die Frauen darin auch bestärkt, weil ich die Strickerzeugnisse, die bei uns entstanden sind, nie am Ende des Arbeitstages auftrennen lasse. Eigentlich ist das bei solchen Beschäftigungsprojekten üblich – weil sie laut Gesetz auf dem Arbeitsmarkt gegenüber anderen Anbietern nicht wettbewerbsverzerrend agieren dürfen. Wir haben die Produkte auch nicht auf den Markt gebracht. Dennoch betrachte ich derlei Beschneidung als eine Art persönlichen Angriff – schließlich will ich nicht Sand sieben, sondern etwas auslösen, was mit Stärkung des Selbstwertes zu tun hat. Zerstörung von Schöpferkraft aber ist das Gegenteil. So haben wir die Pullover und Jacken in einem Schrank aufgehoben, in dem sie ihre Produzenten jeden Tag sehen oder ihren Kindern und Enkeln zeigen können. So geben die Frauen auch an die nächsten Generationen ein Gefühl von Wertigkeit weiter – ich glaube, daran fehlt es allzu oft.

Klingt alles ziemlich hochtrabend, vermutlich wird mich die Redakteurin für eine der viel belächelten Sozialträumer halten. Aber ich bin überzeugt, wenn wir das mit dem sozialen Unternehmertum nicht schaffen, werden wir das, was in den nächsten 20 Jahren auf uns zukommt, nicht bewältigen können. Der Kampf um die Gehirne hat doch schon begonnen und das verknöcherte und unkreative System in Westeuropa fällt gegen Indien und China immer weiter ab. Jedenfalls haben acht der Frauen gerade den Mut gefunden, in Einzelselbständigkeit zu gehen und einen eigenen Verlag zu gründen, mit dem sie ihre in Zukunft zu strickenden Produkte entwickeln, vermarkten, vertreiben – also unter die Leute bringen wollen. Dass sie das ohne mich machen wollen, hat mich natürlich ein Weilchen beschäftigt. Aber es ist richtig: Sie stehen jetzt auf eigenen Füßen. Und als Beraterin bleibe ich ihnen ja erhalten. Mal sehen, was ich von all dem preisgeben werde, wenn die Frau vom ND kommt. Ach, da ist sie schon. Pünktlich ist sie ja ...


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Unternehmertum und soziales Engagement – das muss sich nicht ausschließen. Im Gegenteil, zwischen klein- und mittelständischen Unternehmen und ihren Regionen besteht vielerorts eine verlässliche Verbindung. Auch für Beschäftigungsprojekte, wie ND eines in Prenzlau entdeckte.
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