Das Lied des Goethe-Spötters

»O, du fröhliche« stammt aus Weimar

  • Steffi Schweizer
  • Lesedauer: 3 Min.
Johannes Daniel Falk ärgerte in Weimar einst Goethe mit einer Persiflage auf dessen und Schillers Stücke. Später schrieb er den Text des Weihnachtsliedes »O, du fröhliche«, wurde ein Wohltäter Weimarer Kinder. Ein Weimarer Verein arbeitet heute nach seinem Vorbild.

Sieben Minuten lang ertönt das Porzellan-Glockenspiel zur Adventszeit vom Rathausturm im thüringischen Weimar. Zu den Weisen, die bei jeder vollen Stunde erklingen, gehört auch »O, du fröhliche«. Von hier aus trat das Lied seinen Siegszug um die Welt an. Die Verse stammen aus der Feder des Privatgelehrten Johannes Daniel Falk. Doch Falk war mehr als nur ein Dichter.

Als nach der preußischen Niederlage gegen die Napoleonischen Truppen bei Jena und Auerstedt (1806) französische Soldaten brandschatzend durch Thüringen zogen und auch Goethes Haus am Frauenplan bestürmten, stellte sich ihnen Goethes langjährige Geliebte Christiane Vulpius mutig in den Weg. Der alte Geheimrat konnte seine Manuskripte retten und erhielt tags darauf eine Schutzwache. Der weit unbedeutendere Dichter Johannes Daniel Falk aber riskierte in diesen Tagen auf dem Marktplatz Leib und Leben.

Der Meister war verärgert

In der Stadt, welche der Plünderung preisgegeben war, herrschte damals Todesangst. Falk steckte sich falsche Schulterstücke an und stoppte, getarnt als französischer Kommandant, die Soldaten. Das rettete vielen das Leben. Goethe war schon 1777 zum Legationsrat ernannt worden, nun wurde diese Ehre auch Johannes Falk zuteil.

»Falk war ein großer Goethe-Verehrer, der aber fand ihn nicht besonders sympathisch«, sagt Paul Andreas Freyer, Vorsitzender des Falk-Vereins in Weimar. »Kein Wunder! In seinem Puppenspiel ›Die Prinzessin mit dem Schweinerüssel‹ hat der Spötter Falk mehrere Stücke von Goethe und Schiller in einem verwurstet. Eine Art zeitgenössische Comedy. Das wurde Goethe hinterbracht, das Stück abgesetzt. Daraufhin verlegte Falk das Puppenspiel auf den Balkon seines Hauses. Beide Dichter wohnten sich am Markt gegenüber. Die Leute auf der Straße klatschten und jubelten. Goethe war verärgert.«

Als Falk dem Mächtigen der Stadt eine Nase drehte, befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Der 40-Jährige lebte mit seiner Frau Caroline und einer wachsenden Kinderschar als angesehener Retter der Stadt. Als er 1816 in der Liedersammlung Johann Gottfried Herders die Melodie eines italienischen Fischerliedes fand und darauf den Text »O, du fröhliche« schrieb, hatte sich das Blatt für ihn jedoch bereits gründlich gewendet.

Denn nach der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) hatten marodierende Soldaten wiederum Leid über die Bevölkerung gebracht. Auch sechs der zehn Falk-Kinder wurden von Scharlach dahin gerafft. Johannes Daniel Falk und seine Frau Caroline kümmerten sich fortan um verwahrloste Kinder und Jugendliche. Sie gaben ihnen in ihrem Heim Essen, Erziehung und Bildung. Caroline versetzte ihren Brautschmuck, der »Vater der Waisen« warb um Spenden. So konnten sie schließlich den baufälligen Lutherhof kaufen und für sich und 300 Zöglinge ein Zuhause gründen.

»Falk ist der Urvater der Inneren Mission, er beriet sich mit Pestalozzi, war Mitbegründer des Grundschulwesens und sozialpädagogisch tätig«, sagt der Vereinsvorsitzende Freyer. »Falk war ein Kritiker, Querdenker und Spötter. Er war ein engagierter Christ, der nicht gefrömmelt, sondern gesagt hat, die beste Predigt ist die Tat.«

Einladung zu Sophie

Nach diesem Vorbild kümmern sich heute in Weimar etwa 100 Vereinsmitglieder um Kinder aus sozial schwachen Familien. Sie werben Unternehmer und Künstler als Sponsoren für Ferienfahrten, sie kaufen Lehrmittel und Bücher. Auch Weihnachten werden sie wieder zusammen sein. Am 24. Dezember lädt der Falk-Verein mit Unterstützung der Weimarer Tafel und verschiedener Sponsoren in das Sophienhaus ein, wo Einsame, Alleinstehende und alle, die nicht zu Hause bleiben wollen, traditionell gemeinsam »Weihnachten bei Sophie« feiern.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.